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UN-Warnungen vor EPAs, TTIP und TPPA

Artikel-Nr.: DE20150722-Art.21-2015

UN-Warnungen vor EPAs, TTIP und TPPA

Nicht-nachhaltiger Afrika-Boom

Vorab im Web - Die meisten afrikanischen Länder scheinen wirtschaftlich nach wie vor zu florieren. Allerdings zeigen jüngste Schätzungen, z.B. die des World Economic Outlook des IWF, dass sich das Wachstum auch in Afrika verlangsamt. Dies verweist auf die Abhängigkeit von Rohstoffpreisen, die derzeit rückläufig sind. Die UN-Wirtschaftskommission für Afrika und die UNCTAD plädieren daher seit Jahren für eine Wirtschaftspolitik, welche die Rohstoffabhängigkeit vermindert und einen Strukturwandel in Richtung auf arbeitsplatzintensive Verarbeitungsindustrien bewirkt. Von Jörg Goldberg.

Um Strukturwandel geht es auch in zwei neuen Berichten über die afrikanische Wirtschaft, dem „Economic Report on Africa“ (ERA) der UN-Wirtschaftskommission für Afrika und dem UNCTAD-Report „Economic Development in Africa“ (s. Hinweise). Beide Texte zeichnen ein skeptisches Bild der Wirtschaftslage: Die mit dem seit Anfang der 2000er Jahre beschleunigten Wachstum in Afrika einhergehenden Strukturveränderungen belegen, wie wenig nachhaltig die aktuelle Entwicklung ist.

● Negativer Strukturwandel

Der UNCTAD-Bericht skizziert den Strukturwandel zwischen 2001/2004 und 2009/2012 im Detail und konstatiert: „In vielen afrikanischen Ländern hat sich ein Strukturwandel weg von der Landwirtschaft hin zu nicht-handelbaren Dienstleistungen vollzogen, ohne dass die industrielle Verarbeitung … gestärkt wurde.“ (12) Die Zahlen zeigen, dass die Industrie in vielen Ländern stagniert – in ganz Afrika ist der Anteil der verarbeitenden Industrie an der Wertschöpfung von 12 auf 11% gesunken, weit unter dem Durchschnitt der übrigen Entwicklungsländer (Anstieg von 14 auf 22%). In einigen Ländern wie Burkina Faso (11 auf 6%) oder Eritrea (10 auf 6%) erscheint der negative Strukturwandel besonders tief.

Die beiden vorgestellten Berichte befassen sich mit zwei Ursachenkomplexen dieses Trends: Der ERA untersucht die Rolle der Handelspolitik, die UNCTAD analysiert den wachsenden Dienstleistungssektor. Beide betonen, dass eine erfolgreiche Industrialisierung nur gelingen kann, wenn eine gezielte und auf die Bedingungen in den einzelnen Ländern abgestellte industrielle Förderpolitik integrierter Bestandteil der gesamten Wirtschaftspolitik wird, d.h. wenn – bezogen auf die Schwerpunktthemen – sowohl die Handelspolitik als auch die Entwicklung der Dienstleistungsbereiche dem Ziel des industriellen Strukturwandels untergeordnet werden. Angesichts der veränderten globalen Verhältnisse, welche die Spielräume nationaler Wirtschaftspolitik einengen, plädieren sie für innovative Politikansätze seitens der afrikanischen Regierungen.

● Smarter Protektionismus

Was die Handelspolitik betrifft, so konstatiert der ERA, dass die veränderten globalen Bedingungen die Wirksamkeit traditioneller Instrumente – vor allem die Zollpolitik – zunehmend beschränken. Die Autoren plädieren daher für einen „smart protectionism“ (xxv), d.h. die Vermeidung einer allgemeinen Politik der Öffnung (oder Abschließung) zugunsten einer „hochgradig selektiven Handelspolitik“ (xx). „Die Afrikanischen Länder müssen klug („smart“) sein, das internationale Handelssystem und seine Möglichkeiten ausschöpfen und handelspolitische Instrumente entwickeln, die die Industrialisierung fördern.“ (xxv).

Ein zentrales Element des smarten Protektionismus ist das „sequenzing“, d.h. die richtige Abfolge handelspolitischer Maßnahmen. Das bedeutet, dass der regionalen Integration – bis hin zu einer afrikanischen „Continental Free Trade Area“ (CFTA) – absoluter Vorrang einzuräumen ist. Die Erfahrungen zeigten, so der ERA, dass der Abschluss von bilateralen und multilateralen Handelsabkommen mit Ländern und Regionen außerhalb Afrikas die Handlungsfähigkeit der afrikanischen Länder eingeschränkt hat: „Intensivere und ehrgeizigere Schritte zur regionalen Integration müssen unbedingt der graduellen Öffnung der afrikanischen Ökonomien gegenüber dem Rest der Welt vorangehen.“ (xxv).

● EPAs, TTIP: Negative Effekte für Afrika

Der ERA 2015 stützt sich auf aktuelle ökonometrische Studien, die zeigen, dass sowohl die Effekte der derzeit noch in Verhandlung befindlichen Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPAs) als auch die großen regionalen Freihandelsabkommen wie z.B. das europäisch-nordamerikanische TTIP oder das asiatisch-pazifische TPPA dem afrikanischen Handel, insbesondere der Industrie, schaden würden (155 ff.). Vor allem die EPAs könnten die afrikanische regionale Integration behindern.

Die Autoren weisen zwar daraufhin, dass die EPAs den „policy space“ der afrikanischen Regierungen stärker einschränken als das globale WTO-Regime (158), greifen diese gleichwohl nicht frontal an. Ihre Empfehlungen wenden sich weniger gegen die EPAs als vielmehr an die afrikanischen Regierungen: Diese sollten die in den Abkommen enthaltenen Übergangsfristen nutzen, um die handelspolitische Integration in Afrika voranzutreiben. Vorrangig sei eine Harmonisierung der Zolltarife, bis hin zur Bildung einer afrikanischen Freihandelszone (CFTA). Der Bericht kann als ‚Weckruf‘ gelesen werden mit der Kernaussage: Nur wenn es gelingt, die afrikanische Integration rasch voranzutreiben, kann Afrika Nutzen aus globalen Handelsvereinbarungen ziehen.

● Globale Wertschöpfungsketten und Dienstleistungen

Der ERA weist auch auf die Rolle der Dienstleistungen im Industrialisierungsprozess hin. Der Bericht der UNCTAD konzentriert sich auf dieses Thema: Tatsächlich ist der Sektor der Dienstleistungen in den meisten afrikanischen Ländern quantitativ dominierend, zwischen 2001/2004 und 2009/2012 ist ihr Anteil an der Wertschöpfung von 46 auf 49% gestiegen. „Der Dienstleistungssektor hat das Potential, nachhaltiges Wachstum und Strukturwandel in Afrika voranzutreiben.“ (4) Dies tut er allerdings derzeit nur unzureichend: Notwendig sei eine gezielte Politik zur Förderung der Komplementarität zwischen Dienstleistungen und Industrie.

Der UNCTAD-Bericht weist darauf hin, dass Afrika zwar in globale Wertschöpfungsketten eingebunden ist, aber eben an Stellen, die wenig werthaltig und wenig beschäftigungswirksam sind. Um innerhalb der Wertschöpfungsketten ‚aufzusteigen‘, sind Dienstleistungen (Transport und Verkehr, Kommunikation, Bildung und Erziehung, Finanzdienstleistungen) entscheidend. Ein besonders schwacher Punkt des quantitativ bedeutsamen afrikanischen Dienstleistungssektors sei die Informalität: „Afrikanische Dienstleistungen sind überwiegend informell und kleinbetrieblich organisiert.“ Daher seien Strategien zur ‚Formalisierung‘ entscheidend, um die Komplementarität zur Verarbeitung zu stärken (21).

Ein spezielles Kapitel ist den Finanzdienstleistungen gewidmet. Während der afrikanische Finanzsektor zunehmend durch Auslandsbanken dominiert wird (116), bleiben die alten Mängel bestehen. Diese bestehen vor allem darin, dass kleinere und mittlere Unternehmen und ländliche Regionen praktisch keinen Zugang zu Krediten und Finanzdienstleistungen haben bzw. dass diese extrem teuer sind. Selbst größere Unternehmen (ab 100 Beschäftigte) nutzen nur zu 40% Bankkredite (90). Die geringe Komplementarität zwischen Finanzdienstleistungen und Produktion wird durch das Verhältnis zwischen Bankkrediten an den privaten Sektor und dem Inlandsprodukt ausgedrückt: Diese Relation ist in Afrika mit 23,6% des BIP extrem niedrig, nur halb so hoch wie im Durchschnitt der übrigen Entwicklungsländer (84).

Während der UNCTAD-Report die Schwächen des afrikanischen Dienstleistungssektors gut analysiert, bleiben die Empfehlungen oft sehr im Allgemeinen. So dürfte die bereits erwähnte „Formalisierung informeller Dienstleistungen“ kaum durch allgemein sicherlich wünschenswerte und notwendige Maßnahmen wie Modernisierung der Transportsysteme, gerechtere Besteuerung, Bekämpfung der Korruption, Erleichterung des Zugangs zu Krediten usw. zu erreichen sein (119).

● Kein Weltmarkt-Automatismus

Immerhin sind sich beide Berichte in einem einig: Der für nachhaltiges Wachstum unabdingbare Strukturwandel in Richtung auf mehr Verarbeitung kommt nicht automatisch, er kann nur Ergebnis sorgfältig gezielter und auf die jeweiligen Bedingungen abgestellter sektoraler Wirtschaftspolitiken sein. Afrika als „late comer industrieller Entwicklung“ (ERA, xxv) kann nicht auf die Automatik des Weltmarktes vertrauen.

Voraussetzung für die Entwicklung und Umsetzung solcher gezielter Politiken sind handlungsfähige, zuverlässige und effiziente öffentliche Verwaltungen – nicht unbedingt die Stärke afrikanischer Länder. Ohne solche von der Bevölkerung akzeptierte und legitimierte Institutionen ist eine gezielte Förderung bestimmter Wirtschaftszweige nicht möglich. Dieser Hinweis soll den Ansatz der hier behandelten Berichte nicht entwerten. Aber auch wenn die Effizienz öffentlicher Verwaltungen nicht ihr Thema ist: Es wäre trotzdem hilfreich gewesen, wenn die Autoren die institutionellen Engpässe und Erfordernisse bei der Umsetzung der Empfehlungen angesprochen hätten.

Hinweise:
* UN Economic Commission for Africa (ECA): Economic Report on Africa 2015: Industrializing through Trade, 214 pp, Addis Ababa 2015. Bezug: über www.uneca.org
* UNCTAD: Economic Development in Africa Report 2015: Unlocking the Potential of Africa’s Services Trade for Growth and Development, 146 pp, New York-Geneva 2015. Bezug: über www.unctad.org

Posted: 22.7.2015

Empfohlene Zitierweise:
Jörg Goldberg, UN-Warnungen vor EPAs, TTIP und TPPA. Nicht-nachhaltiger Afrika-Boom, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 22. Juli 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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