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UNCTAD: Mandatserneuerung mit Dissonanzen

Artikel-Nr.: DE20160808-Art.17-2016

UNCTAD: Mandatserneuerung mit Dissonanzen

Ein Bericht von UNCTAD 14 aus Nairobi

Vom 17. bis 22. Juli 2016 trafen sich RegierungsvertreterInnen aus aller Welt zur 14. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD 14) in Nairobi. Bei der alle vier Jahre stattfindenden Konferenz werden vor allem das Mandat der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung erneuert und die Prioritäten der Arbeit für die nächsten vier Jahre ausgehandelt. Ein Bericht von Kristina Rehbein und ergänzenden Bemerkungen von Martin Khor.

Die Konferenz war eines der ersten multilateralen Treffen nach den historischen Beschlüssen im Jahr 2015, die die internationale Gemeinschaft zur Bekämpfung des Klimawandels und zu den neuen globalen Entwicklungszielen bis 2030 gefasst hat. Aus diesem Grund war der Leitspruch der UNCTAD-Konferenz „From decisions to actions“ – von Beschlüssen zum Handeln. So begann die Konferenz auch mit dem Appell an die Delegierten, nicht bei Lippenbekenntnissen zu bleiben: “Pamoja tuaweza” war nicht nur der Titel des speziell für die Eröffnung komponierten Songs, sondern auch der rote Faden für die Konferenz: ein Appell in der Landessprache, dass wir es nur mit ernstgemeinter Zusammenarbeit schaffen, die globalen Herausforderungen zu bewältigen.

● Alte Konfliktmuster zwischen Nord und Süd

Auch der Konferenzort war dafür prädestiniert: So fand bereits 1976 eine historische UNCTAD in Nairobi statt, in einer Zeit, als UNCTAD noch das wichtigste multilaterale Forum für Themen wie globaler Handel und wirtschaftliche Entwicklung war. Damals verhinderten die Industrieländer wirksame Beschlüsse zur Stabilisierung der Rohstoffpreise. Und heute? Alle, die gehofft hatten, dass die gemeinsame Herausforderung der 2030-Agenda die Mitgliedsländer dazu bringen würde, Nord-Süd-Differenzen beiseite zu legen, um ein starkes Mandat für eine Organisation zu ermöglichen, die bei der Umsetzung der 2030-Agenda eine wichtige Rolle spielen kann, wurden abermals enttäuscht.

Bei den Mandatsverhandlungen war leider wenig von pamoja tuaweza zu spüren. Die Verhandlungsdynamik ähnelte vielmehr den bereits früher sichtbar gewordenen Konflikten zwischen der Gruppe der 77 (Entwicklungsländer) und den Industrieländern. Während die G77 ein gestärktes Mandat für die UNCTAD zugunsten der Umsetzung des nachhaltigen Entwicklungsziels (SDG) Nummer 17 erreichen wollten, unternahmen die Industrieländer jeden erdenklichen Versuch, die Rolle der UNCTAD im multilateralen Institutionengefüge weiter zu schwächen.

Schon früher hatten sie durchgesetzt, dass viele relevante Themen der Entwicklungsfinanzierung und globalen Finanzarchitektur federführend in Organisationen behandelt werden, in denen die Industrieländer die meiste Macht besitzen, wie in der OECD oder dem IWF. Nun haben die reichen Länder erneut gezeigt, dass sie nicht bereit sind, den Entwicklungsländern die Mittel für die Erreichung der 2030-Agenda oder eine gleichwertigen Rolle in globalen Wirtschafts- und Finanzfragen zuzugestehen.

● Zankapfel UNCTADs Rolle in der Schuldenfrage

Zentral war in Nairobi vor allem die Frage nach der Rolle der UNCTAD bei der Prävention und Lösung von Schuldenkrisen. UNCTAD hat hier in der jüngeren Vergangenheit ausgezeichnete konzeptionelle Arbeit geleistet, zum Beispiel durch die Schaffung der Richtlinien für verantwortliche Kreditvergabe und -aufnahme und der Entwicklung praktischer Leitlinien zur fairen und effizienten Lösung von Schuldenkrisen. UNCTAD könnte hier eine wichtige Rolle in der Anwendung und Umsetzung dieser Konzepte spielen, die den Entwicklungsländern bei der erfolgreichen Umsetzung der neuen ambitionierten Entwicklungsagenda helfen würde. Während die G77 das Mandat der UNCTAD für die Prävention und Lösung von Schuldenkrisen stärken wollten, wollten die Industrieländer die Rolle der UNCTAD auf technisches Schuldenmanagement beschränken. Darüber hinaus sollte die UNCTAD nur ergänzend zum IWF und der Weltbank eine Rolle spielen, was die Unabhängigkeit der UNCTAD in Schuldenfragen gefährdet hätte.

UNCTAD 14: Selbstverständliches in Frage gestellt

Selten wurde von einer Vollversammlung der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung so wenig Notiz genommen wie von UNCTAD 14, die vom 17.-22. Juli 2016 in Nairobi stattfand. Die führende Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen konnte zwar ihr Mandat erneuern. Aber der Prozess dahin offenbarte den ungesunden Zustand der Nord-Süd-Beziehungen.

Gegründet 1964, ist UNCTAD die erste ökonomische Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen. In ihrer besten Zeit von den 1960er bis zu den 1980er Jahren war UNCTAD ein zentrales Verhandlungszentrum, das auf globale Rohstoffabkommen spezialisiert war und die Initiative der Entwicklungsländer für eine "Neue Internationale Wirtschaftsordnung" unterstützte. Über ein halbes Jahrhundert hat UNCTAD die Sache der Entwicklungsländer hoch gehalten. Doch in den letzten wurde ihre Rolle unter dem Einfluss der Industrieländer herabgestuft. Viele wichtige Themen gingen an andere Organisationen, in denen die Industrieländer eine größere Kontrolle haben, wie die OECD, die Welthandelsorganisation, den IWF und die Weltbank.

Es bedurfte vieler Monate von Verhandlungen in Genf und Tage und schlafloser Nächte in Nairobi, um einen Konsens über Fragen zu erreichen, die eigentlich nicht kontrovers sein sollten. Prinzipien oder sogar Begriffe, über die seit langem als Elemente der globalen Kooperation Einigkeit herrschte, werden nun von den Industrieländern in Frage gestellt oder sogar zum Tabu erklärt. Früher waren sie offen für die Notwendigkeit des Technologietransfers, die Bereitstellung finanzieller Ressourcen und eine besondere Behandlung der Entwicklungsländer. Heute sind sie fast schon gereizt, wenn nur Begriffe wie "zusätzliche Ressourcen", "Technologietransfer" oder die seit langem akzeptierten Prinzipien der "gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung" und der "besonderen und differenzierten Behandlung" vorgeschlagen werden.

Die Industrieländer sind sich ihrer Vorherrschaft über die globale Ökonomie nicht mehr so sicher und deshalb nicht mehr bereit, frühere Konzessionen an die Entwicklungsländer aufrecht zu erhalten. Es war somit eine große Herausforderung für die Entwicklungsländer, unter Führung der Gruppe der 77 und Chinas ihre Partner im Norden auf UNCTAD 14 zu einem Konsens zu bewegen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

* Die Entwicklungsländer kämpften für die Bekräftigung des von ihnen benötigten "policy space". Dieses Konzept, über das auf einer früheren UNCTAD Übereinstimmung erzielt wurde, beinhaltet, dass die Entwicklungsländer das Recht haben sollten, von Politiken und Instrumenten, die für ihre Entwicklung erforderlich sind, Gebrauch zu machen, und dass dieses Recht durch Handels- und andere Verträge nicht in Frage gestellt werden sollte. Die Entwicklungsländer schlugen Formulierungen zu "policy space" an verschiedenen Stellen des Konsensdokuments vor. Am Ende wurde nur eine milde und unter Vorbehalt gestellte Formulierung akzeptiert, die "den ?policy space' jedes Landes respektiert, sofern dieser mit relevanten internationalen Regeln und Verpflichtungen vereinbar ist" (Absatz 3).

* Die Entwicklungsländer wollten ein erweitertes Mandat für die wichtige Arbeit von UNCTAD zu Schuldenfragen. Stattdessen wurden Formulierungen eingeführt, die UNCTADs Schuldenarbeit als Ergänzung der Arbeit von IWF und Weltbank beschreiben und so ihre Unabhängigkeit einschränken. Erst in letzter Minute gelang den Entwicklungsländern die Einfügung von "as appropriate" (wo geeignet), was beinhaltet, dass die "Ergänzung" jetzt im Ermessen von UNCTAD steht.

* Die Entwicklungsländer wollten die Notwendigkeit erwähnen, die Doha-Runde der WTO schnell abzuschließen. Das ist wahrlich keine radikale Idee. Gleichwohl haben die Industrieländer inzwischen entschieden, die Doha-Runde aufzugeben und so wurde dieses Thema im Outcome-Dokument von UNCTAD 14 nicht einmal erwähnt.

* In vielen anderen Foren, darunter der UN-Konvention zum Klimawandel, wurde der Technologietransfer inzwischen zu einem Tabuwort, gegen dessen bloße Erwähnung die Industrieländer, insbesondere die Vereinigten Staaten opponieren. Es ist den Entwicklungsländern zu verdanken, dass dieser Begriff an mehreren Stellen in der Deklaration auftaucht und u.a. gefordert wird, UNCTAD sollte die Entwicklungsländer dabei unterstützen, Wege zu Operationalisierung des Technologietransfers zu identifizieren (Absatz 40f).

Martin Khor

Um die Umsetzung der 2030-Agenda in kritisch verschuldeten Ländern nicht zu gefährden, ist jedoch nicht nur ein umsichtiges und verantwortliches Schuldenmanagement vonnöten. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im Unterziel 4 des SDG 17 dazu verpflichtet, Entwicklungsländer durch internationale Politiken zur Um- und Entschuldung zu unterstützen. Durch eine Stärkung des Schuldenmandats und die damit verbundene Bereitstellung finanzieller Ressourcen, könnte die UNCTAD hier die offensichtliche Lücke in der internationalen Finanzarchitektur schließen, indem sie auf die Schaffung umfassender und fairer Entschuldungsverfahren hinwirkt.

Doch trotz harter Verhandlungsnächte mussten die G77 am Ende ihre Hoffnung auf die Stärkung des UNCTAD-Mandats aufgeben. Immerhin darf die UNCTAD, auch durch den gezielten Druck der globalen Zivilgesellschaft, ihre bisherige Arbeit zu Schulden fortsetzen. Doch angesichts der Gefahr, die von neuen drohenden Schuldenkrisen für die Erreichung der globalen Entwicklungsziele ausgeht, ist das Ergebnis enttäuschend.

● Streit um Steuerfragen

Auch bei internationalen Steuerfragen, unter anderem im Hinblick auf die Bekämpfung von Steuerflucht und Steueroasen, gab es unüberbrückbare Differenzen, ähnlich wie schon letztes Jahr bei den Verhandlungen um Financing for Development. So wie in Addis Abeba forderten die Entwicklungsländer auch in Nairobi gleichberechtigt in die Arbeit zu internationalen Steuerfragen einbezogen zu werden. Konkrete Vorschläge, wie dies unter dem Dach der Vereinten Nationen aussehen könnte, wehrten die IndustrieländervertreterInnen erfolgreich ab. Auch versuchten die Industrieländer die Rolle der UNCTAD bei der Beratung der Entwicklungsländer in Steuerfragen so klein wie möglich zu halten. Am Ende blieb nur ein sehr begrenztes Mandat in diesem Bereich übrig.

Zwar bleibt UNCTAD auch nach Nairobi der zentrale Ort innerhalb der Vereinten Nationen zur integrierten Bearbeitung von Handel und Entwicklung sowie verwandter Fragen von Finanzierung, Technologie und Investitionen. So bekräftigten es am Ende zwei Erklärungen, eine Politische Deklaration („Nairobi Azimio“) und ein Outcome-Dokument („Nairobi Maafikiano“, so jeweils die Bezeichnung in Suaheli). Insgesamt stellte die Konferenz der globalen Kooperation jedoch kein gutes Zeugnis aus. In Nairobi hätte die internationale Gemeinschaft ein Zeichen dafür setzen können, dass sie es ernst meint mit der 2030-Agenda und bereit ist, den Weg „from decisions to actions“ zu gehen. Leider war die UNCTAD 14 kein guter Start dafür!

Kristina Rehbein ist Geschäftsführerin von erlassjahr.de. Martin Khor ist Direktor des South Centres.

Posted: 8.8.2016

Empfohlene Zitierweise:
Kristina Rehbein mit Martin Khor, UNCTAD: Mandatserneuerung mit Dissonanzen. Ein Bericht von UNCTAD 14 aus Nairobi, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 8. August 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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