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UNCTAD XIII: Seltener Sieg

Artikel-Nr.: DE20120514-Art.26-2012

UNCTAD XIII: Seltener Sieg

Eine Rückschau

Es war einer der seltenen Siege, den die Internationale der Zivilgesellschaft und der globale Süden heute noch feiern können. Und zugleich war es ein Ereignis, über das die Mainstream-Medien so gut wie nichts berichteten. Die Rede ist von der XIII. Vollversammlung der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die alle vier Jahre stattfindet, diesmal vom 21.-26. April 2012 in Doha/Katar. Eine auswertende Rückschau von Rainer Falk.

Für die Entwicklungsländer stand viel auf dem Spiel. Hätten sich die Industrieländer, vor allem die der JUSSCKANNZ-Gruppe (Japan, USA, Schweiz, Kanada, Südkorea, Australien, Norwegen, Neuseeland und Lichtenstein), durchgesetzt, hätte der Süden ein wichtiges Forum und Sprachrohr verloren, über das er seine Interessen gegenüber dem Norden deutlich machen kann. Die Kritiker des ökonomischen Mainstreams und seiner Hardcore-Institutionen wie IWF und Weltbank wären um eine starke Stimme ärmer gewesen. Doch am Ende hatte sich der Pulverdampf gelegt, und ein passables, ja ein gutes Ergebnis lag auf dem Tisch, das „Doha Mandate“ (s. Hinweis).

* Kernpunkte des Doha-Mandats

Die wichtigsten Absätze dieses Dokuments tragen die Nummern 17 und 18. Darin heißt es: „Der Accra-Akkord (das Ergebnis der UNCTAD-Konferenz von vor vier Jahren; RF) verfolgte eine konstruktive handels- und entwicklungspolitische Agenda und beruhte auf den drei Säulen von UNCTAD: politische Analyse, Konsensbildung und technische Zusammenarbeit. Die Ergebnisse von UNCTAD XIII bekräftigen den Accra-Akkord, der gültig und wichtig bleibt, und bauen darauf auf.“

Und: „UNCTAD bleibt der Platz in den Vereinten Nationen für die integrierte Bearbeitung von Handel und Entwicklung sowie der damit zusammenhängenden Fragen in den Bereichen Finanzen, Technologie, Investitionen und nachhaltiger Entwicklung.“ Damit war sichergestellt, dass das UNCTAD-Sekretariat seine erfolgreiche Arbeit der Analyse globaler wirtschaftlicher und finanzieller Entwicklungen, der Beratung vor allem der ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) und der Förderung der Süd-Süd-Zusammenarbeit fortsetzen kann.

Welches waren die Faktoren, die diesen ‚seltenen Sieg‘ möglich machten? Wie schon bei vorigen UNCTAD-Versammlungen spielte die geschickte Festlegung des Themas eine Rolle: Diesmal lautete es „Entwicklungszentrierten Globalisierung – Für nachhaltige und inklusive Entwicklungswege“ (W&E 03/2012). Es gestattete, die Debatte auf die zentralen Fragen der aktuellen, multiplen Krise auszurichten – von der Finanzkrise über die Rezession der Industrieländer bis zur globalen Umweltkrise – und UNCTAD in diesen Bereichen präsent zu halten. Zu den wichtigsten Aussagen des „Doha-Mandats“ gehört die Forderung, dass „das Finanzsystem die reale Ökonomie unterstützen sollte, vor allem deren anhaltendes, inklusives und gerechtes wirtschaftliches Wachstum und die nachhaltige Entwicklung“.

* UNCTAD zeigt Flagge

Für die Sicherung eines breiten Mandats spielte über das Engagement des Generalsekretärs von UNCTAD, Supachai Panitchpakdi, hinaus eine wichtige Rolle, dass sich 49 ehemalige Mitarbeiter von UNCTAD, darunter ein ehemaliger und ein ehemaliger Stellvertretender Generalsekretär, mit einem Statement öffentlich hinter die Organisation zu stellten und fragten, ob nun die Botschaft von UNCTAD oder ihr Überbringer – oder beide – mundtot gemacht werden sollten. Sie warfen den OECD-Ländern vor, die Meinungsfreiheit in UNCTAD ausgerechnet zu einer Zeit zu bedrohen, in der andernorts im multilateralen System der Wert des Pluralismus langsam wiedererkannt wird. „Wenn nicht diejenigen, die stolz waren, für UNCTAD arbeiten zu dürfen, jetzt ihre Stimme erheben, wer dann?“

Das Statement (s. Hinweis) verweist auf die – im Unterschied zu den Bretton-Woods-Institutionen – gute Leistungsbilanz der analytischen Arbeit von UNCTAD, die sich u.a. in der Vorhersage diverser Finanzkrisen der letzten Zeit gezeigt hat. Jetzt da die Krise im Norden angekommen ist, hätte dieser allerdings umso weniger Interesse daran, dass ein mehrheitlich vom Süden bestimmtes Organ sich mit unabhängigen Positionen zu Wort meldet.

Die auf Initiative der Entwicklungsländer vor fast 50 Jahren gegründete UNCTAD war den westlichen Mitgliedsländern schon immer ein Dorn im Auge. Wäre es nach den USA und anderen westlichen Ländern gegangen, hätte UNCTAD künftig zu makro-ökonomischen Themen gar nicht mehr Stellung nehmen, nicht einmal Analysen anfertigen können. Der Versuch, das Abschlussdokument von Doha entsprechend umzuformulieren, zielte nicht zuletzt darauf, das durch die Finanzkrise ramponierte Deutungsmonopol von IWF und Weltbank wieder zu festigen.

* Eine Front von G77 über LDCs bis BRICS

Von entscheidender Bedeutung war jedoch die Tatsache, dass die Entwicklungsländer einheitlich für die Verteidigung von UNCTAD auftraten. Dies sei immer schon der entscheidende Faktor gewesen, so der ehemalige UNCTAD-Generalsekretär Rubens Ricupero. Schon in einer im Vorfeld der Doha-Konferenz verbreiteten Erklärung sagten die Gruppe der 77 und China, die Versuche der Industrieländer, UNCTAD zu schwächen und ihr Mandat zu beschneiden, erinnerten sie an die „dunkelsten Tage der Nord-Süd-Spaltung“ und seien Zeichen für die Wiederentstehung eines „neuen Neokolonialismus“: „Wir können und wir werden das nicht akzeptieren.“ Die Frage sei nicht, ob es ein nichtssagendes oder überhaupt kein Ergebnisdokument geben werde, es werde ein Dokument geben, in dem das bisherige Mandat von UNCTAD bekräftigt wird. Ihre Bereitschaft, nach wie vor den Konsens zu suchen, dürfe nicht als Schwäche ausgelegt werden. Die implizite Drohung mit einem Mehrheitsvotum des Südens verfehlte ihre Wirkung nicht.

Auch das Kalkül, die ärmsten Entwicklungsländer (LDCs) gegen die neureichen BRICS ausspielen zu können, ging nicht auf. Nach der G77 meldeten sich zunächst die 48 LDCs zu Wort. In einer Deklaration zum Abschluss eines Treffens am Vorabend von UNCTAD XIII forderten sie die Stärkung der Organisation und ihrer Forschungs-, Beratungs- und Konsensbildungskapazitäten. Zugleich begrüßte die Erklärung das seit einigen Jahren vom UNCTAD-Sekretariat propagierte Konzept des „Entwicklungsstaates“. Es steht gegen die dominierende ökonomische Orthodoxie der letzten Jahrzehnte. Diese rief die Regierungen zum Rückzug auf und behauptete, dass freie Märkte per se das Wirtschaftswachstum beflügeln würden.

Am Ende kamen dann auch die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), die auf ihrem Gipfel in Indien nur zu recht schwachen Solidaritätsbekundungen mit UNCTAD gefunden hatten, mit einer eindeutigen Stellungnahme heraus. Darin forderten ihre Handelsminister klar zur Bekräftigung des bislang breiten Mandats von UNCTAD auf.

* Positive Erfahrungen mit der Zivilgesellschaft

Angesichts dieser kraftvollen Phalanx hätte es der breiten Solidaritätserklärung der Zivilgesellschaft fast schon nicht mehr bedurft. Doch der Unterstützerbrief, mit dem fast 150 NGOs zu Konferenzbeginn aufwarteten, und das parallele zivilgesellschaftliche Forum hatten noch eine andere Funktion: Nicht immer war das Verhältnis zwischen den zwischenstaatlichen UN-Institutionen und den nichtstaatlichen Akteuren ohne Belastungen und gegenseitige Vorbehalte. Am Beispiel von UNCTAD XIII ist jetzt einmal deutlich geworden, welch positive Kraft und welche Synergien ein positives Miteinander hervorbringen kann.

Hinweis:
* Sämtliche hier erwähnten Dokumente sind über die laufend aktualisierte Dokumentation ???042ae6a0350ea9b01??? auf unserer Website zugänglich.
Veröffentlicht: 14.5.2012

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, UNCTAD XIII: Seltener Sieg. Eine Rückschau, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 14. Mai 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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