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Vom Handelskrieg zur globalen Anarchie?

Artikel-Nr.: DE20181219-Art.21-2018

Vom Handelskrieg zur globalen Anarchie?

Trumps Agenda aus der Sicht des Südens

Wir sollten uns nicht irreführen lassen und denken, dass der „Handelskrieg“ zwischen den USA und China nach dem kürzlichen Treffen ihrer Präsidenten beigelegt ist. Stattdessen weitet Präsident Donald Trump den Konflikt über die Zollfrage hinaus in viele andere Bereiche aus, in dem umfassenden Versuch, Chinas wirtschaftliche Entwicklung zu stoppen oder zu verlangsamen. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf China und Länder wie Malaysia, die in chinesische Produktionsketten integriert sind, schreibt Martin Khor.

Der heraufziehende Konflikt markiert das Ende des westlichen Glaubens an die Win-Win-Vorteile der Liberalisierung von Handel und Investitionen. Er ist die Begleitmusik zum Aufkommen einer alternativen Sicht, nach der China und andere Länder keine Partner, sondern Rivalen sind, die in Schranken gehalten werden müssen.

● Als hätte China Melinda Gates verhaftet

Just als Trump und Chinas Präsident Xi Jinping sich am Rande des G20-Gipfels zum Dinner niedergelassen hatten, um einen „Waffenstillstand“ in ihrem Zollkrieg zu schließen, verhafteten die kanadischen Behörden die Tochter des Besitzers von Huawei, des chinesischen Technologiegiganten, dessen Smartphone-Verkäufe inzwischen höher als die des iPhones von Apple sind und global an zweiter Stelle hinter Samsung kommen.
Die Finanzchefin von Huawei, Meng Wanzhou, war im Transitbereich des Flughafens von Vancouver, als sie auf Ersuchen der USA festgenommen wurde, weil ihr Konzern vor Jahren die US-Sanktionen gegen den Iran verletzt habe. Erst nach vielen Tagen wurde sie gegen eine Kaution freigelassen, muss aber eine elektronische Fußfessel tragen.

Die chinesische Regierung nannte diese Aktion „sehr unfreundlich“ und chinesische Bürger waren empört. Es wäre so, als würde China Melinda Gates verhaften, die Ko-Chefin der Bill and Melinda Gates Foundation, weil diese angeblich chinesische Gesundheitsbestimmungen missachtet hätte. In der gesamten westlichen Welt hätte es einen ungeheuren Aufschrei gegeben und Drohungen mit sehr gravierenden Konsequenzen. Doch die Chinesen akzeptieren offensichtlich die Haft Mengs als eine Routineangelegenheit, die mit dem Handelskrieg nichts zu tun hat. Es kann allerdings kein bloßer Zufall sein, dass die Verhaftung Jahre nach dem angeblichen Verbrechen zur selben Zeit stattfand wie das Essen von Xi und Trump.

Der Vorfall erinnert uns an die US-Anklage gegen einen anderen chinesischen Technologieführer, die ZTE Corp, im Jahre 2017 wegen desselben Sanktionsbruchs. Damals wurde gegen ZTE Corp ein Verbot des Kaufs von Telekom-Chips des US-Konzerns Qulcomm verhängt, was dieses Unternehmen wochenlang lahmlegte. Erst viel später wurde ein politischer Deal geschlossen, in dessen Rahmen ZTE Corp eine Strafe zahlen musste, bevor sie die Produktion wieder aufnehmen konnte.

● Bedrohte globale Überlegenheit der USA

In Bezug auf China ist Trump nicht so sehr wegen des großen Handelsdefizits seines Landes besorgt, sondern vielmehr wegen der Bedrohung von Amerikas globaler Überlegenheit. Der Verdacht gegenüber Chinas globalen Ambitionen wurde für Trump und seine Falken zur Gewissheit, als Xi von der Rhetorik des chinesischen Traums zu dem konkreten industriellen Plan „Made in China 2015“ überging. Dieser soll chinesische Firmen zu Weltführern in zehn Hightech-Sektoren machen, darunter in künstlicher Intelligenz, Robotik, bei Halbleitern, Elektroautos und in der Raumfahrt.

Alarmiert durch die Aussicht auf die chinesische Vorherrschaft in den Kommandoindustrien der Zukunft, versucht Trump, die Wege zu versperren, auf denen China seine Weltklasse-Unternehmen entwickelt. Das betrifft Handel, Investitionen, Subventionen und Unterstützung sowie die Akquisition von Technologien und intellektuellem Eigentum.

Die Sonderzölle sollten chinesische Exporte behindern. Der neue Export Controll Reform Act stärkt die Befugnisse zur Regulierung des US-Exports von neuen und Basistechnologien von Bedeutung für die nationale Sicherheit und kann auch benutzt werden, um den Verkauf von Komponenten und Technologien an China zu verbieten.

Um chinesische Firmen davon abzuhalten, sich in US-Gesellschaften einzukaufen (und deren Technologien zu erwerben), wurden die Prüfbefugnisse des US Committee on Foreign Investment gestärkt.

Im letzten Monat wurden neue nationale Sicherheitsbestimmungen verabschiedet, um die Überprüfung von kleinen Minderheitsinvestitionen in sensible US-Technologien zu ermöglichen, darunter Biotechnologie, Nanotechnologie und drahtlose Kommunikationsausrüstungen. Das Ziel besteht darin, chinesische Firmen daran zu hindern, selbst kleine Anteile an US-Start-Ups zu erwerben.

Die USA haben ebenfalls Versuche chinesischer Firmen blockiert, Mehrheitsanteile an US-Unternehmen zu erwerben oder zu übernehmen, dies wiederum aus Gründen nationaler Sicherheit. Beispielsweise lehnte es dasselbe Committee kürzlich ab, einen Vertrag über 1,2 Mrd. US-Dollar zwischen Money Gram, einem US-Geldtransferunternehmen, und Ant Financial, einer chinesischen elektronischen Zahlungsgesellschaft, zu genehmigen.

● WTO-System unter Beschuss

Europäische Länder und Australien sind ebenso zunehmend restriktiv gegenüber chinesischen Firmen, die in einheimische Firmen investieren oder diese übernehmen wollen. Darüber hinaus haben die USA den Einsatz von Huaweis 5G-Technologie verboten, wobei ihnen Australien und Neuseeland umgehend gefolgt sind. US-Offizielle sind auch durch Europa getourt, um vor der Wahl von Huawei-Technologie zu warnen, was zu wachsenden Befürchtungen geführt hat, dass 5G-Netzwerke, die Huawei-Technologie benutzen, ein erhöhtes (chinesisches) Spionage- und Sicherheitsrisiko aufweisen. Wenn er Sonderzölle auf chinesische Produkte verhängt, klagt Trump China des Diebstahls intellektuellen Eigentums und des erzwungenen Technologietransfers an.

Die USA begründen ihr Handeln mit der nationalen Sicherheit oder der unilateralen Section 301 ihres eigenen Handelsrechts. Doch die meisten Rechtsexperten der Welthandelsorganisation (WTO) sehen in diesen Aktionen eine Verletzung verschiedener WTO-Bestimmungen. Viele Länder haben vor der WTO Verfahren gegen die USA angestrengt.

Vielleicht weil sie fühlen, dass die WTO-Bestimmungen mehrere ihrer geplanten Aktionen behindern, haben die USA das Streitschlichtungssystem der Organisation beschädigt, indem sie sich weigern, neue Mitglieder für deren Apellationsinstanz zu bestimmen. Bis zum Ende 2019 wird diese Instanz nicht mehr genug Mitglieder haben und die WTO wird ihrer stärksten Funktion beraubt sein und ineffektiv werden. Es würde keinen formellen Weg innerhalb des multilateralen Handelssystems mehr geben, um die USA wegen ihrer Aktionen gegen China oder andere Länder herauszufordern (oder auch die Aktionen anderer Länder gegen dritte). Das System würde zusammenbrechen.

Dann aber würde die globale Handelsordnung ihren regelgestützten Charakter verlieren und jedes Land auf sich allein gestellt sein. America first, Frankreich first, Großbritannien first sind schon auf dem Weg, und viele andere werden auf dem Fuße folgen. Der Handelskrieg, der mit Aluminium und Stahl gestartet war, könnte so in einen Schneeballeffekt eskalieren, der in eine Welt der Anarchie mündet, in der nur noch Stärke zählt.

Es ist ein schreckliches Szenario, aber kein unrealistisches, das auf uns lastet, während 2018 seinem Ende entgegen geht. Es ist nicht zu spät, um diesen Trend anzuhalten, doch etwas in den USA muss sich drastisch ändern, wenn es eine kleine Chance geben soll, das Desaster zu vermeiden.

Martin Khor ist Berater des Third World Network, Penang/Malaysia.

Posted: 19.12.2018

Empfohlene Zitierweise:
Martin Khor: Vom Handelskrieg zur globalen Anarchie? Trumps Agenda aus der Sicht des Südens, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 19. Dezember 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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