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Vom Rettungsschirm zum Hilfemechanismus?

Artikel-Nr.: DE20110507-Art.25-2011

Vom Rettungsschirm zum Hilfemechanismus?

Die verfehlte Krisenpolitik in der Eurozone

Vorab im Web - Die Krise der Eurozone verschärft sich. Immer offener wird die Notwendigkeit einer Schuldenrestrukturierung Griechenlands debattiert. Portugal hat inzwischen als drittes Land der Eurozone Gelder aus dem sog. Rettungsschirm beantragt und muss dabei ein ähnliches Sparprogramm wie Griechenland und Irland hinnehmen, obgleich sich die Sparpolitik als ungeeignete Anti-Krisen-Politik erweist. Auch die Vorschläge für eine neue Governance der EU sowie der Eurozone sind darauf gerichtet, gescheiterte neoliberale Politikmuster zu verfestigen, analysiert Joachim Becker.

Weder in der Verschuldungssituation noch im Entwicklungsmuster der Vorkrisenzeit gleichen sich Griechenland, Irland und Portugal. Der irische Wachstumsboom war durch eine extreme Aufblähung einer kreditfinanzierten Immobilienblase getragen. Mit dem Zusammenfallen der Finanzblase brach die Hauptstütze des Wachstumsmodells weg. Der irische Bankensektor ist zu einem Großteil faktisch insolvent. Die privaten Verluste wurden verstaatlicht. Aus dem Musterschüler des Maastricht-Kriteriums der Staatsschuld wurde binnen kurzem ein Problemfall: Die Staatsschuld stieg zwischen 2007 und 2010 von 28,9% auf 104,9% des BIP an.

* Unterschiedliche Krisendynamik

In Griechenland befeuerte die steigende Privatverschuldung ebenfalls die Konjunktur, allerdings von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend. Hingegen trug das mangelhafte Steuersystem zu einer hohen Staatsschuld bei. Diese erreichte schon im Vorkrisenjahr 2007 beachtliche 104,6% des BIP und wuchs in der Krise auf 129,2% des BIP.

Portugals Staatsschuld entwickelte sich in Höhe und Entwicklungstempo seit 2007 in etwa im Gleichschritt mit dem Rest der Eurozone. Das ökonomische Kernproblem Griechenlands und Portugals liegt allerdings in den schwachen Industriestrukturen und dem damit verbundenen sehr hohen Handels- und Leistungsbilanzdefizit. Dies machte trotz schwacher Binnennachfrage für beide Länder im Jahr 2010 immer noch um die 10% des BIP aus.

Diese Defizite sind die Kehrseite der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse, die ihrerseits durch die extrem restriktive Lohnentwicklung und den Abbau sozialer Leistungen (Hartz IV) befeuert wurden. Finanziert wurden die Leistungsbilanzdefizite der südeuropäischen Länder sowie der kreditfinanzierte Boom Irlands mit Krediten der deutschen, französischen und britischen Banken. Die hohen Außenstände der westeuropäischen Banken sind der zentrale Grund für den EU-Rettungsschirm.

* Krisenprogramme: One size fits all?

Die EU-Politik setzt allein bei den Defizitländern an, obwohl an der Krisendynamik die Überschussländer gleichermaßen beteiligt sind. Kern aller Austeritätsprogramme von EU und IWF sind eine extrem restriktive Budget-, Sozial- und Lohnpolitik. In Griechenland und Portugal geht es aber auch um den Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten, Pensionsreduzierungen (zumindest unter Berücksichtigung der Inflation) und umfassende Privatisierungen. Im Strukturanpassungsprogramm für Portugal (siehe Box) stehen Eingriffe in das Arbeitsrecht – bspw. Eingriffe in das Tarifvertragsrecht, Kürzungen bei Überstundenzuschlägen und Abfertigungen – und Privatisierungen im Mittelpunkt.

Kernelemente von Portugals EU/IWF-Programm:

Budgetpolitik
  • Abbau öffentlicher Beschäftigung
  • Einfrieren der Löhne im öffentlichen Dienst
  • Kürzung von Pensionen, die höher als 1500,- € sind
  • Suspendierung der Pensionsindexierung
  • Reduktion von Sozialausgaben (v.a. im Gesundheitswesen)
  • Erhöhung von Verbrauchssteuern
  • Abbau von Begünstigungen bei Unternehmens- und Einkommenssteuern
Privatisierungen
  • Privatisierungen im Infrastrukturbereich (v.a. Elektrizität und Verkehr)
  • Privatisierung der Banco Português de Negócios
ArbeitnehmerInnenrechte
  • Kürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld
  • Reduktion der Abfertigungen bei Entlassungen
  • Abbau des Kündigungsschutzes
  • Flexibilisierung der Arbeitszeit
  • Beschränkungen bei der Reichweite von Tarifverträgen

Letter of Intent

(1.6.2011) Inzwischen hat der IWF den Letter of Intent, zusammen mit derm Memorandum of Economic and Financial Policies und dem Technical Memorandum of Understanding, veröffentlicht. In diesen Dokumenten werden die wirtschaftspolitischen Verpflichtungen Portugals und die Sparbeschlüsse im Einzelnen festgehalten. Der Wortlaut findet sich >>> hier.

Der Zuschnitt der Programme ist extrem ähnlich, obgleich sich die Krisendynamik deutlich unterscheidet. In Portugal und Griechenland ließe sich – anhand der Zielkriterien der Programme – in der Reduktion der Importe durch ein Schrumpfen der Binnennachfrage vielleicht noch eine innere Restrationalität der restriktiven Lohnpolitik konstatieren. Irland hat aber keine Handelsbilanzprobleme – und die Mindestlohnkürzungen und Maßnahmen gegen die Arbeitslosen gehorchen offenbar allein dem übergeordneten Ziel der Schwächung der Gewerkschaften.

In Griechenland und Irland hat die extrem restriktive Budget- und Lohnpolitik bereits zu einer anhaltenden Rezession geführt, in Portugal wird eine solche von Finanzminister Fernando Teixeiro dos Santos für die nächsten beiden Jahre erwartet. Griechenland war mit einem BIP-Rückgang von 4,2% 2010 die am schnellsten schrumpfende Wirtschaft der EU. Dies hat auch Konsequenzen für die Steuereinnahmen. Die Europäische Kommission musste bereits eingestehen, dass die Steuereinnahmen in Griechenland deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Die Rezession lässt das relative Gewicht der privaten wie staatlichen Schuldenlast weiter steigen. Damit werden die Schuldenprobleme weiter verschärft. Das Schrumpfen der Binnennachfrage lässt auch die Importe und das Handelsbilanzdefizit sinken. Die in Griechenland und Portugal vorgesehenen Privatisierungen werden allerdings absehbar zu steigenden Gewinnrepatriierungen führen und damit bei der Leistungsbilanz negativ zu Buche schlagen.

Obgleich die Umschuldungsdiskussion sich bislang auf Griechenland bezieht, ist die Verschuldungslage in Irland – angesichts der extremen Überschuldung der Haushalte und des Bankensektors – eigentlich als dramatischer einzuschätzen. Die realisierten und vorgesehenen Finanzspritzen an den irischen Bankensektor belaufen sich bereits auf 45% des jährlichen BIP. Hier schiene eine Schuldenreduktion mehr als angezeigt.
Eine Stärkung der Produktionsstrukturen, die zu einer Minderung der Importabhängigkeit bzw. einer Steigerung der Exporte führen würde, ist nicht Teil der EU/IWF-Programme. Stattdessen bieten sie den neo-liberalen Glaubenssatz, dass Deregulierung und Privatisierung zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führen würden. Zentrale Ziele der EU/IWF-Programme sind offenbar ein beschleunigter Abbau des Sozialstaates und Zurückdrängung der Gewerkschaften sowie ein forcierter neoliberaler Umbau des Staates.

* European Support Mechanism: Institutionalisierung der Sparpolitik

Eine solche Politik will die EU über die Einzelprogramme hinaus institutionalisieren. Programme des European Support Mechanism, der Fortsetzung des jetzigen Rettungsschirms, sollen an harte Auflagen gebunden werden. Eine entsprechende Änderung des EU-Vertrages ist vorgesehen. Beim Stabilitäts- und Wachstumspakt soll der Umgang mit den Budgetkriterien radikalisiert werden, obwohl die Kriterien wie Budgetdefizit oder Schuldenstand sich als wenig relevant für die Krisenverläufe erwiesen haben. Irland war vor der Krise ein Musterschüler bei den Kriterien und ist jetzt dennoch finanziell am Ende.

Demnächst soll ein Abbau der Staatsschulden – sofern sie über dem Referenzwert von 60% des BIPs liegen – erzwungen werden. Damit würde die Sparpolitik weiter radikalisiert. Verfehlen der Zielmarken soll auf eine ungleich stärker automatische Weise als bisher sanktioniert werden. Sanktionen würden dann automatisch verhängt, sofern die Mitgliedsstaaten sich nicht innerhalb von 10 Tagen mit qualifizierter Mehrheit dagegen aussprächen. Das ist eine autoritäre regelgebundene Wirtschaftspolitik in Reinkultur. Die Parlamente würden auf ihrem zentralen Gebiet der Budgetpolitik weiter entmachtet.

Eine restriktive Lohn-, Pensions- und Budgetpolitik ist auch im „Euro Plus Pakt“ der Euro-Länder, dem sich einige weitere EU-Staaten anschließen wollen, vorgesehen. Automatische Sanktionen sind jetzt zwar noch nicht Teil dieses Paktes, aber Selbstverpflichtungen der Regierungen würden auch hier das Ihrige für eine restriktive Linie leisten. In eine ähnliche inhaltliche Richtung – und eine starke Regelbindung – gehen auch die Vorschläge einer Excessive Imbalances Procedure, die für die Eurozonen-Staaten sanktionsbewehrt sein soll. Die relevanten Maßgrößen für die EU-Intervention werden hinter verschlossenen Türen verhandelt.

Es gibt also ein ganzes Paket von Veränderungen der wirtschaftspolitischen Governance der EU, die zwar mit der Krise begründet werden, bei denen es aber real um einen Abbau des Sozialstaates und Einkommensumverteilung zu Gunsten der Besitzenden geht. Als roter Faden lassen sich in diesen Vorschlägen eine verschärfte Regelbindung, Entparlamentarisierung und Entdemokratisierung der Wirtschaftspolitik ausmachen.

* Es gibt Alternativen

Die EU-Politik ist nicht alternativlos. Kurzfristig müsste eine Alternativpolitik einerseits das Hochtreiben von Zinsen für einzelne Euro-Länder durch die Begebung gemeinsamer Anleihen blockieren, andererseits direkter auf die Kreditpolitik der Banken Einfluss nehmen. Strukturell müsste in den Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen eine stärkere Orientierung auf den Binnenmarkt – einschließlich einer überdurchschnittlich expansiven Lohnpolitik – verankert werden. In einem Papier für das Institut Solidarische Moderne ( s. Hinweis) legten Alex Troost (Die Linke) und Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) ein Konzept vor, das innerhalb der EU auch dauerhafte Leistungsbilanzüberschüsse negativ sanktionieren würde. Es ist durch den Keynes-Plan für einen internationalen Ausgleich im internationalen Finanzsystem aus den 1940er Jahren inspiriert. Es müsste allerdings durch eine veränderte Regional- und eine ökologisch orientierte Industriepolitik in den Peripherieländern ergänzt werden. Einem solchen Politikwechsel stehen allerdings gewaltige politische und institutionelle Hindernisse entgegen.

Denkbar ist weiterhin ein Austritt von Peripherieländern aus der Eurozone in Verbindung mit einer Währungsabwertung und einem Schuldenschnitt. Eine solche Politik ist politisch und technisch schwierig umzusetzen und hätte kurzfristig erhebliche Kosten. Allerdings könnte eine Währungsabwertung später eine wirtschaftliche Erholung erleichtern. Die Erholungseffekte dürften allerdings eher schwächer als in Argentinien oder Uruguay ausfallen, wo eine ähnliche Politik vor knapp einem Jahrzehnt umgesetzt wurde.

Erkennbar ist, dass die derzeitige EU-Politik auf zunehmende Widerstände stößt. In einigen Zentrumsländern der EU werden ablehnende Positionen zu den Rettungspaketen immer deutlicher artikuliert. In Finnland erreichte die Partei „Wahre Finnen“ nicht zuletzt aufgrund einer solchen Positionierung jüngst fast 20% der Stimmen. In Griechenland und Portugal gibt es erhebliche Proteste gegen die perspektivlose Sparpolitik.

Dr. Joachim Becker ist a.o. Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Hinweis:
* Axel Troost/Lisa Paus, Eine Europäische Ausgleichsunion – Die Währungsunion 2.0, 25 S., Schriftenreihe Denkanstöße 13, Institut Solidarische Moderne: 16. März 2011. Bezug: über www.solidarische-moderne.de

Veröffentlicht: 25.4.2011 (aktualisiert: 7.5.2011)

Empfohlene Zitierweise: Joachim Becker, Vom Rettungsschirm zum Hilfemechanismus?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 7. Mai 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).