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Vor einer neuen Finanzkrise?

Artikel-Nr.: DE20180615-Art.07-2018

Vor einer neuen Finanzkrise?

Die Warnungen werden lauter

Stehen wir unmittelbar vor einer neuen Finanzkrise? George Soros, der Multimilliardär und Hedgefonds-Pionier sagt Ja. Nein sagt dagegen James Gorman, der Vorstandsvorsitzende der Investitionsbank Morgan Stanley und nennt die Vorhersage von Soros „lächerlich“. Doch die Warnrufe nehmen zu und werden lauter, wie die folgende Übersicht von Martin Khor belegt.

Diese divergierenden Sichtweisen fallen in eine Zeit, in der es Zeichen für einen finanziellen Zusammenbruch in Italien gibt und das Kapital aus den Emerging Economies abfließt, darunter aus der Türkei, Argentinien, Indonesien und auch aus Malaysia. Einige Ökonomen haben davor gewarnt, dass der Boom-Bust-Zyklus der Kapitalflüsse in Entwicklungsländern zur Belastung wird, wenn die Wende vom Boom zum Bust kommt. Alles was es braucht, ist lediglich ein Auslöser, der zum Schneeball wird, wenn die Investoren wie eine Herde zur Tür stürzen. Ihr Verhalten wird dann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung: Wenn die Investoren denken, es sei an der Zeit, ist es so weit.

● Nicht weniger als eine politische Revolution ist nötig

Auf einem Seminar Ende Mai in Paris erklärte Soros: „Die Stärke des Dollars hat bereits eine Flucht aus den Währungen der aufstrebenden Märkte ausgelöst. Wir könnten auf eine neue schwere Finanzkrise zusteuern.“ Die Vorhersage von Soros mag nicht überall geteilt werden. „Ehrlich, ich halte das für lächerlich“, sagte der Morgan-Stanley-Chef Gorman dazu. Diese Kontroverse erinnert mich an eine Debatte, die das South Centre im letzten April in Genf hatte, wo ich auf der Vorstellung eines Buches zweier wichtiger Autoren sprach.

Das Buch trägt den Titel „Revolution Required: The Ticking Time Bombs of the G7 Model” (Revolution erforderlich: Die tickenden Zeitbomben des G7-Modells). Seine Autoren sind zwei kürzlich in den Ruhestand getretene Top-Beamte der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Peter Dittus, ehemaliger Generalsekretär, und Herve Hannoun, ehemalige stellvertretender Geschäftsführer. Die BIZ ist ein Zusammenschluss von 60 Zentralbanken, die auch Bank der Zentralbanken genannt wird.

Ein konservativeres Establishment, das auch berühmt ist für seine Forschung, könnte es kaum geben. Doch die beiden ehemaligen Beamten werden in ihrem Buch sehr direkt und warnen vor „tickenden Zeitbomben“ im globalen Finanzsystem, die auf ihre Explosion nur warten, und zwar wegen der unbesonnenen Politik der Hauptindustrieländer (G7). Es bedürfe nicht weniger als einer politischen Revolution, um den Schaden einer Krise zu minimieren, die kommen wird, schreiben sie.

Auf dem Treffen in Genf wiesen Dittus und Hannoun auf mehrere „Zeitbomben“ hin, die sich in den Industrieländer entwickelt hätten. Das Hauptproblem ist für sie „das schuldengetriebene Wachstumsmodell der G7“. Die Hauptländer (außer Deutschland) verfolgten laxe Fiskalpolitiken mit hohen Regierungsverbindlichkeiten gemessen am BIP. Insbesondere die Vereinigten Staaten hätten eine unverantwortliche Fiskalpolitik, die sie in andere Länder (wiederum außer Deutschland) exportiert haben. Die US-Administration habe die Neuausgaben und Steuersenkungen um mehr als mehr als 1 Billion Dollar vorangetrieben, ohne eine Finanzierung außer Neuverschuldung, was 2019 zu einem Haushaltsdefizit von rund 1 Billion Dollar führen wird.

● Zentralbanken im Dilemma

Auch die Zentralbanken der G7 haben die ungebremste Schuldenakkumulation erleichtert. Die Zinssätze (nahe Null oder negativ) seien ein gigantischer Anreiz zur Geldaufnahme, und die extreme Geldpolitik habe jeden Anreiz zu fiskalischer Rechtschaffenheit zerstört. Die Gesamtverschuldung der G7 im 3. Quartal 2017 belief sich auf rund 100 Billionen Dollar.

Die Autoren behaupten, die extreme Geldpolitik der G7 seit 2012 habe die Grundlagen der Marktwirtschaft untergraben, deren Kernelemente zerbrochen sind. Langfristige Zinssätze würden manipuliert, die Bewertung aller Anlageklassen sei stark verzerrt, das souveräne Risiko in den fortgeschrittenen Ländern sei bewusst falsch bepreist, und all dies habe mit den Fundamentaldaten nichts mehr zu tun. Sie warnen, dass die präzedenzlose Preisblase bei Anlagewerten, die die G7-Zentralbanken produziert haben, eine tickende Zeitbombe ist, die jederzeit platzen könne. Sie warnen davor, dass die lockere Geldpolitik der letzten Jahre einer noch schlechteren Politik der Monetisierung von Regierungsschulden weichen könne.

Obwohl die Zentralbanken zunächst versprochen hatten, dass groß angelegte Aufkäufe von Regierungsanleihen eine aus geldpolitischen Gründen vorgenommene zeitweise Maßnahme seien, sind sie zu einem anderen Konzept übergegangen – dem einer permanenten Intervention der Zentralbanken in den Markt der Regierungsanleihen. Dies wird als Weg zur Lösung souveräner Schuldenkrisen durch die Zentralbanken angesehen, indem ein wachsender Teil der Regierungsschulden an die Zentralbanken transferiert wird: Inzwischen werden 43% der Regierungsanleihen in den Hauptreservewährungen von Zentralbanken und anderen öffentlichen Instanzen gehalten.

Die G7-Zentralbanken sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert. Sie müssen zwischen hoch risikoreichen Szenarien wählen: Normalisierung der Politik oder Monetisierung von Regierungsschulden. Inzwischen bewegen sich die FED und die Bank of Canada langsam in Richtung Normalisierung, während die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan mit dem Experiment der Schuldenmonetisierung fortfahren. Hier liegt das Dilemma. Die Politiknormalisierung ist die einzige Option der Zentralbanken, die mit ihrem Mandat und einer Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Regeln übereinstimmt. Doch wenn sie aus ihrer unkonventionellen Politik aussteigen, könnte das zum Platzen der Anlagepreisblase beitragen, die sie selbst geschaffen haben. Dies könnte sich dann zur schlimmsten, jemals gesehenen Finanzkrise ausweiten, da das Niveau der Schulden und der künstliche Stand der Anlagepreise präzedenzlos sind. Doch eine noch schlimmere systemische Krise würde aus der Fortsetzung der derzeitigen Politik resultieren, wobei führende Zentralbanken den Rubikon der Monetisierung bereits überschritten haben.

● Gewachsene Anfälligkeit der Entwicklungsländer

Die Analysen der BIZ-Autoren ergänzen die von Yilmaz Akyuz, dem Chefökonomen des South Centre und Autor des Buches „Playing With Fire“ (Spiel mit dem Feuer). Akyuz geht weiter, indem er die Bedeutung der globalen Krise für die Entwicklungsländer analysiert. Seit der globalen Krise von 2009 haben sich in den Entwicklungsländern neue und wachsende Anfälligkeiten gegenüber globalen finanziellen Schocks aufgebaut. Ihr Finanzsektor ist heute stärker mit den internationalen Finanzen verflochten. Beispielsweise gibt es inzwischen einen hohen ausländischen Eigentumsanteil auf den Aktienmärkten und bei Regierungsanleihen in Entwicklungsländern. Ein Abfluss dieser ausländischen Fonds könnte in diesen Ländern einen Verlust von ausländischen Reserven, Währungsabwertungen, einen höheren externen Schuldendienst, höhere Importpreise und fallende Anlagepreise verursachen. Einige Länder werden um Bail-out-Programme des IWF nachsuchen (wie bei Argentinien schon geschehen; d.Red.).

Malaysia dagegen hat starke wirtschaftliche Fundamentals und ist weiter von einer Krise entfernt. Es hätte eventuell einen kritischen Punkt erreicht, wenn die massive Schuldenaufnahme für nicht lebensfähige Projekte weiter gegangen wäre. Aber die Maßnahmen, die jetzt (nach dem Wahlsieg Mahatirs; d.Red.) eingeleitet wurden, stoppen die unnötigen Ausgaben und den schädlichen Schuldenaufbau und wirken somit einer Krise entgegen. Es wäre freilich ratsam, die globalen Entwicklungen und welche Auswirkungen sie – zum Guten oder zum Schlechten – auf die nationale Ökonomie haben, genau zu überwachen und zu analysieren.

Martin Khor ist Exekutivdirektor des South Centre in Genf und schreibt regelmäßig an dieser Stelle “aus der Sicht des Südens”.

Posted: 15.6.2018

Empfohlene Zitierweise:
Martin Khor: Vor einer neuen Finanzkrise? Die Warnungen werden lauter, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15. Juni 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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