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Wer kontrolliert Big Data?

Artikel-Nr.: DE20180301-Art.04-2018

Wer kontrolliert Big Data?

E-Commerce und Entwicklungsländer (II)

Vorab im Web - Laut Google ist das Internet die Handelsroute des 21. Jahrhunderts. Nicht nur der kalifornische Hightech-Gigant, auch die überwiegende Mehrheit der Wirtschaftsanalysten sind sich einig: Wer auf der digitalen Route erfolgreich segelt, den wird Merkur (der Gott des Handels und der Diebe) üppig belohnen. In der Tat hat der Anteil des elektronischen Handels am Welthandel in den vergangenen Jahren stark zugenommen, berichtet Sven Hilbig (Teil I Die neue Frontlinie in der Handelspolitik)

Nach Angaben der UNCTAD belief sich der weltweite Umsatz im Jahr 2015 auf 25,3 Billionen US-Dollar. Unangefochten auf Platz 1 liegen die USA mit rund 7 Billionen Dollar, gefolgt von Japan mit 2,5 Billionen US-Dollar, China mit 2 Billionen US-Dollar, Südkorea mit 1,16 Billionen US-Dollar und Deutschland mit 1 Billion US-Dollar. Gehandelt werden nicht nur Waren aller Art, sondern auch Dienstleistungen wie Beratungen, Banken- und Versicherungsgeschäfte oder Werbung.

● Mehr als Online-Handel

Neuere europäische und vor allem US-amerikanische Freihandelsabkommen spiegeln diese Entwicklung wieder, indem sie dem elektronischen Handel ein eigenes Kapitel widmen. Die inhaltliche Zielrichtung und Ausgestaltung dieser Regelungen weichen zum Teil stark voneinander ab. Das 2002 zwischen der EU und Chile vereinbarte Handelsabkommen enthält noch recht allgemeine Vereinbarungen über die Kooperation in den Bereichen Informationstechnologie und Telekommunikation. Demgegenüber verpflichtet das 2009 abgeschlossene EU-Südkorea-Abkommen die Vertragsparteien explizit, keine Zölle auf elektronisch gehandelte Güter und Leistungen zu erheben.

Eine entsprechende Regelung findet sich bereits seit längerem auf multilateraler Ebene: Auf Grundlage des 1996 in Singapur verabschiedeten 'Information Technology Agreement' (ITA), dessen oberstes Ziel, das „Erreichen maximaler Freiheit für Produkte der Informationstechnologie im Welthandel" ist, verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, für ausgewählte Produkte keine Steuern zu erheben; hierzu gehören u.a. Computer, Software, Datenspeicherträger. Im Rahmen der 10. WTO-Ministerkonferenz 2015 in Nairobi wurden über 200 neue Produkte in das Abkommen übernommen. Sie umfassen einen Wert von 1,3 Billionen US-Dollar. Beim ITA handelt es sich um ein plurilaterales Abkommen (innerhalb der WTO), da sich seine Gültigkeit nicht auf alle WTO-Mitgliedstaaten erstreckt, sondern nur auf die inzwischen 82 Unterzeichnerstaaten.

In ihrem Abkommen mit Kanada geht die EU noch einen Schritt weiter. In CETA verpflichten sich die Vertragsparteien einerseits zu mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit in ihren nationalen Regulierungsvorschriften zum elektronischen Handel, andererseits soll dessen Wettbewerb erleichtert werden.
Mit anderen Worten: Nachdem sich in den vergangenen 20 Jahren beim traditionellen analogen Handel der Schwerpunkt von der Reduzierung von Zöllen hin zur Abschaffung nicht-tarifärer Regelungen verlegt hat, lässt sich eine solche Schwerpunktverlagerung inzwischen auch bei modernen bilateralen Abkommen der EU, Japans und vor allem der USA hinsichtlich des digitalen Handels beobachten. Die US-amerikanischen Abkommen sind dabei weit vorangegangen. In ihrer 2002 verabschiedeten 'Digitalen Agenda' stellten die USA klar, dass für sie und ihre Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley die handelsrechtlichen Ausführungen zum E-Commerce sich nicht nur auf den Online-Handel erstrecken, sondern auch Regelungen zum Datenverkehr - im Sinne eines freien Datenflusses – umfassen sollen.

Eine handelspolitische Auseinandersetzung muss daher immer diese beiden Seiten der E-Commerce-Medaille betrachten. Gegenwärtig steckt die handelspolitische Ausgestaltung des digitalen Datenverkehrs zwar noch in den Kinderschuhen, langfristig enthält sie jedoch mehr wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Sprengkraft als der Online-Handel. Je mehr die industrielle Produktion und das Konsum- und Alltagsverhalten von der Digitalisierung bestimmt wird, umso häufiger wird die Frage, wer Big Data kontrolliert, darüber entscheiden, wer im 21. Jahrhundert vom Welthandel profitiert und wer nicht.

● Daten – Das Öl des 21. Jahrhunderts

„The world’s most valuable resource is no longer oil, but data”, schrieb der Economist im Mai 2017. Die Analogie zwischen Erdöl, dem wichtigsten natürlichen Rohstoff des 20. Jahrhunderts, und digitalen Daten ist mehr als nur eine Metapher. Die offensichtlichen stofflichen Unterschiede können nicht über die funktionale Ähnlichkeit hinwegtäuschen. Erdöl bildet, wie kein anderer aus der Erde extrahierte Rohstoff, die Grundlage unserer modernen Produktions- und Konsummuster. In naher Zukunft kommt den Daten eine dem Erdöl vergleichbare strategische Bedeutung zu, bilden sie doch die Grundlage der Schlüsseltechnologien des digitalen Zeitalters: Cloud Computing, 3D-Drucker, Robotik, Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz.

Nicht nur Erdöl, auch Daten sind abhängig von einer umfassenden und reibungslos funktionierenden globalen Infrastruktur (neudeutsch: Hardware). Ohne Pipelines, Häfen, Tankerflotten, Raffinerien und Chemieparks gelangt kein Benzin in die Kraftfahrzeuge und Heizungsanlangen oder in unsere kunststoffhaltigen Alltagsgegenstände. Gleiches gilt für die Nutzung von Internet, Smartphone und den Betrieb automatisierter Industrieparks. Ihre Funktionstüchtigkeit hängt ab von zuvor verlegten Seekabeln, aufwändigen Netzwerkknoten und riesigen Daten- und Rechenzentren.

Die sog. Big Five des Silicon Valley konnten die großen Vier des Ölgeschäfts (Exxon/Mobil, Royal Dutch Shell, BP und Chevron) nur deswegen von ihren angestammten Spitzenplätzen an den Börsen verdrängen, weil sie einerseits die Infrastruktur des World Wide Web nahezu global beherrschen und sie mittels ihrer in Kalifornien bzw. Seattle befindlichen Server kontrollieren. Ohne direkten Zugriff auf diese Großrechner wären Facebook und Google nicht imstande, in Sekundenbruchteilen millionenfach und gewinnbringend Daten zusammenzutragen, zu analysieren und auszuwerten. (Lediglich China ist es gelungen, Facebook und Google aus seinem Territorium herauszuhalten und ein relevantes eigenes Internet aufzubauen; manche sprechen deswegen auch vom ‚zweiten Internet‘, welches es mittels neuer technischer und regulatorischer Möglichkeiten erlaubt, den Datenfluss durch die Regierung zu steuern.)

● Datensouveränität und Entwicklung

Im Zeitalter des Erdöls haben nicht zwangsläufig Staaten, die Ölvorräte besitzen, vom Abbau des fossilen Rohstoffs profitiert - entscheidend war vielmehr die Frage, ob die Ausbeutung von ausländischen oder inländischen Unternehmen betrieben wurde. Erst nachdem zahlreiche Regierungen im globalen Süden Erdölunternehmen verstaatlichten, füllten sich deren Staatskassen und stieg das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf maßgeblich an. Anders hingegen die Entwicklung in den Staaten, in denen weiterhin ausländische Unternehmen das Öl abpumpten: Während Exxon Milliardengewinne durch den Abbau von Erdöl im Tschad machte, fiel das Land in den Jahren 2002 bis 2014 auf dem Human Development Index der Vereinten Nationen um 18 Plätze zurück.

Ein Blick zurück auf die Entwicklung des internationalen Handels nach dem 2. Weltkrieg und die Frage, welche handelspolitischen Strategien sich für die Entwicklungs- und Schwellenländer als erfolgreich erwiesen haben, macht deutlich: Vom wirtschaftlichen Erfolg gekrönt waren jene, in denen die Regierungen die Integration in den Weltmarkt mit verschiedenem wirtschaftspolitischem Instrumentarium (z.B. durch zeitlich begrenzten Zollschutz) steuerte. Erfolglos waren demgegenüber insbesondere jene Staaten, die zur Steigerung ihrer Außenhandelsquote auf den Export ihrer landwirtschaftlichen, fossilen und mineralischen Rohstoffe setzten. In diesen Staaten haben sich weder die Lebensbedingungen verbessert noch die Wirtschaft fortentwickelt (wie unter anderem der Bericht der Vereinten Nationen über menschliche Entwicklung 2013 verdeutlicht).

Auf die Frage, wer langfristig zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern einer vornehmlich datenbasierten Ökonomie gehört, lautet die Antwort: Die Länder des globalen Südens dürfen die Kontrolle über ihre digitalen Daten und die ihr zugrunde liegende Infrastruktur nicht aufgeben bzw. müssen diese (auch mittels Technologietransfer) dringend selbst aufbauen. Nur wenn sie eigenständig über Technologien zur (monetären) Verwertung ihrer Daten verfügen, besteht die Chance, das digitale Zeitalter zum Wohle ihrer Bevölkerungen zu nutzen.

Sven Hilbig ist bei Brot für die Welt Referent für Welthandel.

Posted: 1.3.2018

Empfohlene Zitierweise:
Sven Hilbig, Wer kontrolliert Big Data? E-Commerce und Entwicklungsländer (II), in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 1. März 2018 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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