Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Wie Christine Lagarde den Fonds reformieren sollte

Artikel-Nr.: DE20110703-Art.38-2011

Wie Christine Lagarde den Fonds reformieren sollte

Die Herausforderungen vor der neuen IWF-Chefin

Vorab im Web – Am 5. Juli 2011 wird Christine Lagarde ihr neues Amt als Geschäftsführende Direktorin des IWF antreten. Die Amtszeit dauert regulär fünf Jahre. Lagardes Vorgänger, Dominique Strauss-Kahn, musste bekanntlich wegen einer Vergewaltigungsanklage zurücktreten, die gerade in sich zusammenbricht. In seiner Amtszeit versuchte er sich als „Reformdirektor“ des Fonds und setzte in dieser Hinsicht durchaus Akzente, teilweise sogar Meilensteine. Wie die neue Chefin den IWF weiter reformieren muss, beschreiben Rainer Falk und Barbara Unmüßig.

Christine Lagarde ist die erste Frau an der Spitze des Internationalen Währungsfonds. Das ist zweifelsohne schon ein Fortschritt und wäre vor Jahren kaum denkbar gewesen. Zugleich ist es den Europäern und den USA mit Lagarde erneut gelungen, sich mit einem überkommenen Verfahren durchzusetzen, wonach sie unter sich die internationalen Spitzenposten aufteilen: Für die Europäer den IWF, für die USA die Weltbank. Ihren Anteil daran tragen freilich auch die Schwellen- und Entwicklungsländer, die nicht in der Lage waren, einen gemeinsamen Kandidaten zu präsentieren.

* Alte Machtverhältnisse leben fort

Einmal mehr wurde so die Chance verpasst, nach dem Rücktritt des „Reformdirektors“ Dominique Strauss-Kahn („DSK“) einen entscheidenden Reformschritt zu gehen und ein offenes Auswahlverfahren für die Spitzenposition im Fonds, in dem es ausschließlich um die Qualifikation und die Verdienste des Kandidaten geht, zu etablieren. Was wir in den letzten Wochen erlebt haben, ist ein Beleg dafür, dass es im IWF nach wie vor nach den alten Machtrelationen zugeht. Diese zu überwinden oder zumindest an entscheidenden Punkten zu durchbrechen, gehört nichtsdestotrotz zu den Herausforderungen, vor denen die neue Direktorin Lagarde stehen wird.

In der Diskussion um die DSK-Nachfolge wurden die Europäer nicht müde zu betonen, dass es angesichts der Rückkehr des IWF nach Europa nur recht und billig sei, wenn ein Europäer oder eine Europäerin in der Spitze des Fonds stünde. Kaum ein Argument könnte blamabler sein! Oder wurde jemals während der lateinamerikanischen Schuldenkrise oder der asiatischen Finanzkrise der Ruf laut, einen Lateinamerikaner oder Asiaten zum IWF-Direktor zu machen?

* In der Tradition von DSKs Reformkurs?

Richtig ist, dass etliche europäische Länder – von Lettland bis Griechenland, von Ungarn bis Portugal – inzwischen zu den neuen Großkunden des IWF gehören. Auf sie entfällt inzwischen fast 80% der ausstehenden Kreditsumme des Fonds (s. Grafik). Das Gros der Klientel sind aber nach wie vor Entwicklungsländer, darunter dutzende Länder mit niedrigem Einkommen, die am Tropf des Fonds hängen. Die Äußerungen Lagardes vor ihrer Wahl deuten durchaus darauf hin, dass sie eine klare Vorstellung von der Breite der Aufgaben, die sie erwarten, hat: „Der Fonds hat eine Menge unmittelbare Aufgaben angesichts einer ungleichen Erholung der Weltwirtschaft, der wieder zum Vorschein kommenden globalen Ungleichgewichte, der potentiell destabilisierenden Kapitalflüsse, des hohen Niveaus der Arbeitslosigkeit, der steigenden Inflation und schwieriger Länderfälle,“ sagte sie in ihrer Bewerbung.

IMF-Außenstände nach Regionen


Die neue IWF-Direktorin wird in den kommenden Monaten und Jahren daran zu messen sein, ob sie die von ihrem Vorgänger begonnenen Reformprozesse beim IWF weiter vorantreiben wird. Dazu gehört an erster Stelle, den Fonds endlich aus seiner Rolle als Disziplinierungsinstrument der Gläubiger gegenüber den zumeist südlichen Schuldnern zu entlassen. Das ist ein Selbstverständnis, das auf Asymmetrie basiert. Es ist aber auch beim Management der europäischen Schuldenkrise kein probates Mittel. Auch in Europa werden rigide Anpassungsprogramme gegenüber den Schwächeren, den Defizitländern, durchgesetzt, während die Starken, die Überschussländer, ungeschoren davonkommen. Was viele nicht wissen ist, dass die größten sparpolitischen Scharfmacher gegenüber den Krisenländern der Eurozone nicht aus Washington, sondern aus Berlin und Brüssel kamen.

Eine der größten Reformbaustellen des IWF – das zeigt gerade die Eurokrise – ist die Reform der Konditionalitäten, die der Fonds mit seinen Krediten verknüpft. Diese Reform steht immer noch am ganz am Anfang. Sie voranzutreiben, ist eine der wichtigsten Herausforderungen für Christine Lagarde. Wieder einmal findet derzeit eine Überprüfung der Konditionalitäten des Fonds statt. Die Hilfsorganisation Oxfam International weist in einer Stellungnahme zu diesem Prozess besorgt darauf hin, dass gerade die Länder mit niedrigem Einkommen (LICs) nach wie vor negativ von den wirtschaftspolitischen Konditionen betroffen sind:

* Überwindung des „One size fits all“?

* Die Rückkehr zur „fiskalischen Konsolidierung“ nach der globalen Finanzkrise behindert viele LICs dabei, zügig an der Verwirklichung der Millenniumsziele, darunter die Halbierung der absoluten Armut, zu arbeiten.
* Das erneute Abrücken des Fonds von der neuen Flexibilität bei Inflationszielen, die sein Chefökonom im letzten Jahr verkündet hat, zwingt viele Länder zu schärferen geldpolitischen Maßnahmen, um den gestiegenen Nahrungsmittel- und Brennstoffpreisen zu begegnen.
* Zudem gibt es zahlreiche Belege dafür, dass die in den IWF-Programmen neu eingezogen Grenzen für die Kürzung von Sozialausgaben in der Praxis nicht ernst genommen werden bzw. sich in der Ausgabenpolitik der Regierungen kaum bemerkbar machen.
* Auch die Festsetzung von Lohnobergrenzen trifft die sozialen Sektoren in den Zielländern des IWF hart, da sie in den LICs die meisten Regierungsausgaben für Löhne und Gehälter absorbieren.
* Sehr langsam nur und begrenzt geht in den LICs auch die Einführung sozialer Schutzmechanismen vonstatten.
* Dass der IWF in einigen Ländern auf der schnellen Abschaffung von Brennstoff- oder Nahrungsmittelsubventionen besteht, noch bevor soziale Auffangmechanismen eingeführt werden, kann die Armen besonders treffen.
* Noch unzulänglich analysiert der Fonds die sozialen Implikation von Änderungen in der Steuer- und Ausgabenpolitik sowie der Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln und Brennstoffen für Ungleichheit und Armut.

Angesichts solch fortbestehender Defizite in der Vergabepolitik des IWF macht es Hoffnung, dass sich Christine Lagarde in ihrer schriftlichen Bewerbung der Kritik der Unabhängigen Evaluierungskommission des IWF angeschlossen hat, die dem Fonds kürzlich in Bezug auf seine klägliche Rolle im Vorfeld der Finanzkrise ideologische Einseitigkeit, „Gruppendenken“ und „Silomentalität“ bescheinigt hat. Mehr Offenheit für unterschiedliche Positionen, jenseits der überkommenen Orthodoxie, ist sicherlich eine Grundvoraussetzung für mehr Effektivität des IWF.

* Unvollendete Governance-Reform

Unvollendet – und dies ist die dritte Herausforderung für Lagarde – ist schließlich auch die Reform der Entscheidungsstrukturen des IWF, ohne die der Fonds schwerlich die Legitimität zurück gewinnen kann, die er als globale Institution braucht. Da Lagarde in ihrem „Wahlkampf“ den Schwellenländern Hoffnung auf eine weitere Aufwertung ihrer Rolle im Fonds gemacht hat, wird sie jetzt „liefern“ müssen. Fraglich ist jedoch, ob dabei die Vollendung der noch laufenden Stimmrechtsreform und danach die ständige Anpassung der Quoten an die globalen ökonomischen Kräfteverhältnisse ausreichen wird, um den erforderlichen Ausgleich zwischen Nord und Süd, zwischen Arm und Reich herbeizuführen. Die 2010 eingeleitete Stimmrechtsreform hat gerade einmal eine Verschiebung um 3% zugunsten der Schwellenländer gebracht, und dies teilweise noch auf Kosten anderer Entwicklungsländer. Nach wie vor hinkt die Stimmenverteilung im Fonds den globalen wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen hinterher (s. Grafik)

IWF-Stimmanteile und globale BIP-Anteile


Es gibt durchaus Vorschläge, die prinzipiell über die bisherige Governance-Logik des IWF hinausgehen: So könnte sich der IWF künftig von einem Regime der doppelten Mehrheiten regieren lassen, dass bei zentralen Entscheidungen jeweils Mehrheiten unter Geber- und Nehmerländern, Schuldnern und Gläubigern verlangt. Zugegeben: eine visionäre Vorstellung angesichts der Tatsache, dass im IWF heute immer noch nach dem Modell „Ein Dollar – eine Stimme“ entschieden wird. Aber ohne das alte Besitzstandsdenken zu überwinden, wird es keine IWF-Reform geben, die diesen Namen verdient.

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung (www.boell.de), Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org). Eine Kurzfassung des Beitrags erschien auf Zeit-Online.

Veröffentlicht: 3.7.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk/Barbara Unmüßig, Wie Christine Lagarde den Fonds reformieren sollte. Die Herausforderungen vor den neuen IWF-Chefin, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 3. Juli 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)