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Wie Finanzinvestoren Rohstoffpreise beeinflussen

Artikel-Nr.: DE20110606-Art.32-2011

Wie Finanzinvestoren Rohstoffpreise beeinflussen

UNCTAD warnt vor zunehmender Finanzialisierung

Vorab im Web - Die „Finanzialisierung“ der Rohstoffmärkte hat zu einer beträchtlichen Veränderung des Marktverhaltens geführt und die Preisbildung bei wichtigen Rohstoffen wie Nahrungsmitteln stark verändert, so das Ergebnis einer neuen Studie der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Die aktuelle Untersuchung zeigt, wie sich Finanzinvestoren zunehmend auf wenige Fakten und mathematische Modelle stützen statt auf die realen Größen von Angebot und Nachfrage, berichtet Rainer Falk.

Der Begriff „Finanzialisierung des Rohstoffhandels“ bezeichnet die wachsende Durchdringung der Rohstoffmärkte durch die Finanzmärkte bzw. die Finanzmarktakteure und ihre Motive. Insbesondere reflektiert er das zunehmende Volumen von Finanzinvestitionen auf den Märkten für Rohstoffderivative. Die empirischen Ergebnisse der mit Unterstützung der Wiener Arbeiterkammer entstandenen Studie (s. Hinweis), die sich auch auf zahlreiche Interviews mit Marktakteuren stützt, belegen, dass die Finanzialisierung das Herdenverhalten ermutigt hat und so die Preisbildung auf den Rohstoffmärkten zunehmend der Logik von Finanzinvestitionen folgt statt den sog. Fundamentaldaten. Das kann Schaden in der realen Ökonomie anrichten, wo die Preise für Waren wie Nahrungsmittel Gesundheit und Wohlbefinden beeinträchtigen können, vor allem in weniger wohlhabenden Ländern.

* Der Aufwärtsdruck auf die Preise

Darüber hinaus zeigen die UNCTAD-Autoren, wie sich die Bewegung der Rohstoffpreise, besonders bei Erdöl, im Konjunkturverlauf grundlegend verändert hat. In früheren Konjunkturzyklen entwickelten sich Rohstoffpreise und Aktienpreise unterschiedlich und reflektierten dabei deutlicher als heute die den verschiedenen Märkten zugrunde liegenden unterschiedlichen Fundamentaldaten. Im jüngsten Konjunkturzyklus dagegen schnellten die Ölpreise unmittelbar nach der Talsohle nach oben, noch bevor die Aktienpreise begonnen hatten zu steigen.

Der Trend zu stark steigenden Rohstoffpreisen begann Mitte des letzten Jahrzehnts und wurde von einer wachsenden Preisvolatilität begleitet. Seit Mitte 2009 und vor allem seit dem Sommer 2010 begannen die globalen Rohstoffpreise erneut zu steigen. Diese Entwicklungen fielen zusammen mit einem bedeutenden Wandel der Fundamentaldaten auf den Rohstoffmärkten, vor allem in den Schwellenländern. Hohes Wachstum, zunehmende Urbanisierung, eine wachsende Mittelklasse mit sich wandelnden Ernährungsgewohnheiten, die Nutzung von Nahrungsmittelpflanzen zur Produktion von Biosprit und der Niedergang der Wachstumsraten der Agrarproduktion und –produktivität – alles das hat einen Aufwärtsdruck auf die Preise für Nahrungsmittelrohstoffe erzeugt.

Dennoch argumentieren die Autoren der Studie, ein Team um den UNCTAD-Chefökonomen Heiner Flassbeck, dass die Finanzialisierung der Rohstoffmärkte neue Kräfte in das Marktgeschehen eingeführt hat, die die Preise beeinflussen. Die Marktakteure, also die Händler, folgen nämlich zunehmend den Marktentscheidungen anderer Akteure. Ein breites Spektrum an Motiven führt so zu einem „intentionalen Herdenverhalten“. Es mag daher für die Marktteilnehmer rational sein, die Kaufentscheidungen anderer zu imitieren oder einfach dem Trend zu folgen und die eigenen Entscheidungen auf der Basis historischer Preisserien zu treffen.

Expansionsfeld für Finanzinvestoren


Die linke Graphik zeigt, wie die Anzahl der Futures- und Optionskontrakte an den Rohstoffbörsen zwischen 1993 und 2010 rasant zugenommen hat. Auch der Wert der ausstehenden Over-the-Counter-Rohstoffderivate (rechte Graphik) hat stark zugenommen, brach aber nach dem Preishöhepunkt wieder ein. Er liegt allerdings heute immer noch fünf mal so hoch wie Ende der 1990er Jahre. Insgesamt sind die Finanzinvestitionen in Rohstoffe als Anlageklasse seit 2005 stark gewachsen (untere Graphik). Im ersten Quartal 2011 lagen diese "assets under management" bei gut 400 Mrd. Dollar.

Die Antizipation der globalen wirtschaftlichen Erholung durch die Finanzmärkte scheint eine überdurchschnittliche Rolle in der gegenwärtigen Runde der Rohstoffpreisinflation gespielt zu haben. Der starke Einfluss der Finanzinvestoren auf die Preise, von UNCTAD als „die neue Normalität der Rohstoffpreisbildung“ bezeichnet, kann eine Verschärfung der Geldpolitik provozieren, selbst zu einem Zeitpunkt niedriger globaler industrieller Kapazitätsauslastung. Dies ließ sich kürzlich in China, Indien und der Eurozone beobachten. Die Tatsache, dass die Geldpolitik auf den Preisdruck auf den Rohstoffmärkten reagiert statt auf die Schwächen der industriellen Produktion, verweist auf einen Aspekt der Bedeutung der Finanzialisierung für die Realökonomie, der bislang unterschätzt wurde. Im Grund genommen geht es darum, dass die falschen Signale ausgesendet werden, so dass effektives makroökonomisches Management unmöglich wird.

* Belege für die „neue Normalität“ auf den Rohstoffmärkten

Der Einfluss der Finanzinvestoren auf die Rohstoffpreise lässt sich auf verschiedenen Ebenen nachweisen. Eine Anzahl von Studien belegt, dass sich in den Jahren 2007-2008 Preisblasen etwa bei Rohöl und Mais gebildet haben. Doch während Index-Investoren vor der Finanzkrise die treibenden Kräfte der Preisentwicklung waren, hat die Bedeutung der Manager von Geldvermögen (beispielsweise Hedgefonds) seither stark zugenommen. Geldmanager verfolgen eine aktive Marktstrategie, die Positionen sehr schnell aufbauen und wieder auflösen kann, und sie sind diejenigen Marktteilnehmer, für die Herdenverhalten am typischsten ist. Nach den Erkenntnissen der UNCTAD-Studie gab es seit 2009 eine enge Korrelation zwischen Preisveränderungen und den jeweiligen Positionen der Geldmanager – auf den Ölmärkten wies die Korrelation den Faktor 0,80 auf. Der Beitrag exzessiver Spekulation zu den Rohölpreisen vor der jüngsten Preiskorrektur wird auf 20% geschätzt.

Auch Überkreuzkorrelationen zwischen verschiedenen Märkten haben in letzter Zeit zugenommen, was darauf hinweist, dass andere Faktoren außer den Fundamentaldaten die Rohstoffpreise treiben. Dies illustriert eine Analyse der Reaktion der Rohstoffpreise auf die Veröffentlichung ökonomischer Indikatoren – etwa dass verschiedene Rohstoffmärkte, die wenig miteinander gemein haben, 2010 binnen Minuten auf die Bekanntgabe der Arbeitslosigkeitsdaten der USA reagiert haben. Das könnte auf Märkten, auf denen Entscheidungen lediglich auf der Basis reiner Fundamentals gefällt werden, nicht erwartet werden. Zwar ist es richtig, dass zwischen den Ölpreisen und der ökonomischen Aktivität ein starker Zusammenhang besteht und dass sich diese Aktivität auch in den Arbeitsmarktdaten widerspiegelt, so reagieren die Arbeitslosigkeitszahlen im Konjunkturzyklus doch mit erheblicher Zeitverzögerung. Zwischen der US-Beschäftigung und der Kakaokonsumption kann man schwerlich irgendeinen Zusammenhang nachweisen.

Ein neueres Beispiel, das aus der Zeit stammt, als die Studie schon abgeschlossen war: Am 5. Mai 2011 fielen die Preise für Rohöl (Brent) um 8% an einem einzigen Handelstag. Zwar wurden an diesem Tag einige schwache Wirtschaftsdaten bekannt, doch an den zentralen Fundamentaldaten änderte sich nichts. Vielmehr hatte einige prominente Börsenführer in den Bärenmodus umgeschaltet und so andere Händler angeregt ihnen zu folgen und den Computerhandel dazu gebracht, aus einer geringfügigen Anpassung von Positionen eine Runde zu machen.

Das Forschungsteam der UNCTAD untermauert seine Analyse mit einer Umfrage unter verschiedenen Akteuren am Rohstoffmarkt. Die interviewten Händler und Investoren stimmen weitgehend darin überein, dass Dank der Teilnahme von Finanzinvestoren kurzfristig substantielle Preisverzerrungen und Herdeneffekte auftreten. Die Ergebnisse des Surveys unterstreichen auch die gewachsene Bedeutung dieser Investoren auf den Märkten, die die Preise aufgrund ihrer finanziellen Stärke auch kurzfristig beeinflussen können. Das wiederum verstärkte die Volatilität, die ihrerseits den Märkten schadet und Hedger mit einem Interesse an physischen Rohstoffen aus den Märkten für Rohstoffderivate verdrängt. Die wachsende Volatilität wiederum führt zu mehr kurzfristigen Geschäften und höherem Finanzierungsbedarf.

* Politischer Reform- und Regulierungsbedarf

Angesichts der zentralen Rolle von Informationsflüssen für die Bildung von Rohstoffpreisen schlagen die Autoren der Studie eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung des Marktfunktionierens vor:

* Mehr Transparenz auf den physischen Rohstoffmärkten, um die Unsicherheit zu reduzieren (durch verbesserte Datenqualität und Rechtzeitigkeit, vor allem mit Blick auf die Lagerhaltung). Dies würde den Marktteilnehmern gestatten, die laufenden und künftigen Angebots- und Nachfrageverhältnisse korrekter einzuschätzen.

* Ein besserer Informationsfluss und –zugang an den Rohstoffbörsen (vor allem mit Blick auf die Positionen verschiedener Kategorien von Marktteilnehmern auf den Derivatemärkten). Insbesondere Maßnahmen zur Gewährleistung von Berichtspflichten für den Handel an europäischen Börsen, die nach dem Modell derer an den US-Börsen gestaltet sind, würden die Transparenz des Handels beträchtlich verbessern und das Abwandern aus Gründen der laxeren Regulierung entmutigen.

* Strengere Regulierung von Finanzinvestoren (etwa Grenzen für den Aufbau von Positionen, um den Einfluss von Finanzinvestoren auf die Rohstoffmärkte zu begrenzen, während der Eigenhandel von Finanzinstitutionen, die zugleich in Hedgingtransaktionen involviert sind, aufgrund des damit verbundenen Interessenkonflikts verboten werden sollten). Dabei kommt es darauf an, das richtige Gleichgewicht zwischen übermäßig restriktiven Auflagen bei der Begrenzung spekulativer Positionen und einer zu laxen Aufsicht zu finden.

* Mögliche direkte Maßnahmen zur Stabilisierung der Rohstoffpreise (etwa gezielte Interventionen durch kompetente Marktaufsichtsbehörden, um Preisblasen zu verhindern und die Marktteilnehmer beim besseren Erkennen der Marktfundamentals zu unterstützen). Wie im Falle von Währungen und seit kurzem auch der Anleihemärkte ist es für eine Zentralbank oder eine andere geeignete Behörde möglich, als Marktführer in die Finanzmärkte zu intervenieren oder als die einzige Institution zu agieren, die in der Lage ist, die Märkte zu beruhigen, wenn sie überschießen.

Hinweis:
* UNCTAD/AK Wien, Price Formation in Financialized Commodity Markets: The Role of Information, 68 pp, United Nations: New York and Geneva, June 2011. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 5.6.2011

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Wie Finanzinvestoren Rohstoffpreise beeinflussen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Juni 2011 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)