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Wie Naturkapital die Natur desozialisiert

Artikel-Nr.: DE20160105-Art.01-2016

Wie Naturkapital die Natur desozialisiert

Kritisches Kompendium zur Grünen Ökonomie

Vorab im Web - Es gibt einen bekannten und gut eingeführten Mechanismus, um Steuern auf CO2-Emissionen zu erheben – und zwar in Höhe von 300 bis 400 € pro Tonne Kohlendioxidausstoß! Der Preis im Europäischen Emissionshandelssystem an der Leipziger Börse liegt aktuell bei knapp über 8 €. Der hohe Wert ergibt sich, wenn man die Steuer von etwa 65 Cent auf den Liter Benzin in Deutschland auf die von diesem Liter verursachte Emission umrechnet. Ein Beispiel aus einem neuen Buch zur „Kritik der Grünen Ökonomie“ (s. Hinweis), das sich Ulrich Brand angesehen hat.

Die AutorInnen, Thomas Fatheuer, Lili Fuhr und Barbara Unmüßig, wollen mit ihrem Beispiel u.a. zeigen, dass steuer- und ordnungspolitische Instrumente dem vermeintlich „effizienten und marktkonformen System“ des Emissionshandels durchaus überlegen sein können. Die Verteufelung staatlicher Eingriffe gehört aktuell zu den Strategien jener, die das fossile Energiesystem nicht grundlegend verändern wollen. Gerahmt werden diese Verhinderungsstrategien seit einigen Jahren mit dem Begriff der Grünen Ökonomie.

● Ökonomie versus Politik: Wer ist effizienter?

Zwar werden viele Probleme in diesem seit einigen Jahren wichtiger werdenden Diskursfeld richtig benannt: Die dramatischen Umweltprobleme, ihr Zusammenhang mit anderen Krisendimensionen, insbesondere der Finanz- und Wirtschaftskrise. Versprochen wird ein win-win, nämlich die Bearbeitung der ökologischen und der ökonomischen Krise. Gleichzeitig werden Fragen politischer Gestaltung in den Schatten der vermeintlich effizienteren Ökonomie gestellt, Fragen von Macht und Herrschaft, von Gerechtigkeit und Demokratie bleiben abgeschattet.

Aber mehr noch. Die vielfältigen Ausblendungen rahmen eine Entwicklung, die unter dem vermeintlich progressiven Begriff der Grünen Ökonomie eine weitere Runde der Inwertsetzung der Natur vorantreibt. „Die ökonomische Rationalität spricht nicht mehr gegen Umwelt- und Klimapolitik, nein, sie begünstigt sie.“ (55) Der Begriff des Naturkapitals suggeriert, wenn nur die mannigfaltige Natur anders verstanden wird, nämlich als mit einem Preis zu versehen, dann kann die bestehende Wirtschaft so bleiben wir sie ist. „Put a price on carbon“ wird gegenwärtig als neues Mantra gepusht. Der These ist zuzustimmen, dass CO2 die „Währung des 21. Jahrhunderts“ werden könnte (147), das Äquivalent, das davon absieht, unter welchen Bedingungen CO2 emittiert, vermieden oder gebunden wird.

Die AutorInnen sehen in den Vorschlägen für eine Grüne Ökonomie eine Verengung aufs Ökonomische, auf neue Märkte und Technologien, ein wachstums- und effizienzfixiertes Innovationsverständnis, das die privatkapitalistischen Unternehmen zu den zentralen Promotoren umweltverträglicher Entwicklungen erhebt. Die Versprechen auf Dekarbonisierung und Dematerialisierung erweisen sich als falsch, wenn die Produktions- und Lebensweise und die damit einhergehenden Macht- und Interessenstrukturen nicht grundlegender umgebaut und mit Fragen der Gerechtigkeit verbunden werden.

● Repolitisierung der Umweltpolitik?

Im letzten Kapitel plädieren die AutorInnen für eine Repolitisierung der Umweltpolitik als Voraussetzung, um aus der vermeintlichen Alternativlosigkeit der Grünen Ökonomie herauszukommen. Aus der Perspektive der Politischen Ökologie kommen die vielfältigen Machtverhältnisse in den Blick, die Konflikte um die jeweils konkreten Formen der Naturaneignung, ja die Rahmung der Probleme selbst. So werden Aussagen plausibel wie: „Die ökonomische Konstruktion der Natur als Naturkapital desozialisiert die Natur. In der so konstruierten Natur steht dann nicht mehr die Frage nach der Bewahrung des Lebensraums und der Rechte ihrer traditionellen Nutzer im Mittelpunkt, sondern die ökonomische Inwertsetzung der Natur als Dienstleisterin.“ (153)

Das Buch besticht nicht nur durch einen klaren und informierten Blick auf die Schwächen des Begriffs, sondern belegt mit vielen Zahlen und Beispielen eben jene Entwicklungen, die überhaupt nicht grün sind oder aber sich ein grünes Mäntelchen geben, de facto aber zu Entrechtung und Vertreibung auf der einen Seite, zu Machtkonzentration und riesigen Profiten auf der anderen führen.
Es ist ein kritisches Kompendium aktueller Entwicklungen in Feldern wie Emissionshandel und dessen historischer Kontext, nämlich die Neoliberalisierung der Umweltpolitik; biologische Vielfalt und Zahlungen für Ökodienstleistungen, Energieproduktion in verschiedenen Bereichen, Verfügbarkeit von fruchtbarem Land und Landwirtschaft, Nanotechnologie, Geoengineering und Synthetische Biologie. Anhand des Automobils wird erläutert, wie tief verankert diese Lebensweise ist und eben diese von mächtigen Akteuren abgesichert wird.

Vier Fragen

Argumentatives Gegenüber sind den AutorInnen neben politischen Akteuren und einer interessierten Öffentlichkeit vor allem jene zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich nicht kooptieren lassen wollen. Sie sind gleichwohl nicht blind gegenüber der Tatsache, dass in vielen Ländern sich gar nicht die Frage der Kooptation stellt, weil kritischen Akteuren mit Repression begegnet wird.
Vier Fragen für weitere Diskussionen ergeben sich aus dem Buch.

(1) Die „planetarischen Grenzen“ zum Bezugspunkt der Argumentation zu machen, gehört inzwischen zum Standardrepertoire ökologischer Kritik an aktuellen Entwicklungen. Meines Erachtens müsste aber auch diese Metapher mal einer „diskurs- und herrschaftskritischen“ Diskussion unterzogen werden. Denn damit werden „globale Probleme“ und „Menschheit“ konnotiert, die Dominanz westlich-naturwissenschaftlichen Denkens festgeschrieben.

(2) Das Buch zeigt überzeugend, wie diskursive, ökonomische und politische Macht zusammenhängen. Ross und Reiter werden benannt. Allerdings ist ein Grund für das persistente business-as-usual auch in den Selbstverständlichkeiten, Praktiken und Lebensweisen vieler Menschen zu suchen. Die werden über ökonomische Interessen, Werbung und Innovationspfade abgesichert (das wird am Beispiel des Autos auch aufgegriffen). Aber die Praktiken oder die „imperiale Lebensweise“ haben eine gewisse Eigenständigkeit, und eine Aufgabe politischer Strategien liegt darin, diese jenseits der Moralisierung zu verändern. Genau hier ist die Politische Ökologie eine interessante Perspektive.

(3) Auch wenn in einem kurzen Abschnitt feministische Ökonomiekritik und der Begriff der Sorgearbeit eingeführt werden und es einen Verweis auf die Commons gibt, die alle über die formale geldvermittelte Wirtschaft hinausgehen, zieht sich durch das Buch doch ein recht enger und eher konventioneller Ökonomiebegriff (etwa 155-158). Es werden zwar die damit vermittelten Machtverhältnisse benannt, aber die Kritik an Lobbyismus ist noch keine an tief verankerten kapitalistischen Produktionsverhältnissen. Entsprechend wird der Begriff des Kapitalismus als analytische Kategorie und Bezugspunkt von Kritik kaum verwendet (auch keine systematische Patriarchatskritik).

(4) Schließlich durchzieht das Buch eine Spannung, die in kritischen Beiträgen immer wieder anzutreffen ist und der weiteren Diskussion bedarf. Einer radikalen Kritik an der aktuellen staatlichen Politik, die zuvorderst die aktuellen un-nachhaltigen wie auch die problematischen grün-ökonomischen Entwicklungen absichert (172f.), korrespondiert eine Dichotomie zwischen der „zerstörerischer Ökonomie“ und dem eigentlich „gestaltenden und regulierenden Staat“ (17). Was eigentlich eine Politik sozial-ökologischer Transformation neben Konflikten und konkreten Inhalten auch auf der Ebene der politischen Institutionen und der politischen Ökonomie bzw. der Produktionsverhältnisse bedeutet, darüber müsste mehr gerungen werden. Denn der Erfolg der grün-ökonomischen Strategien liegt ja, das zeigt das Buch sehr deutlich, in der Anschlussfähigkeit an die bestehenden Institutionen.

● Lernprozess?

Politisch interessant ist das Vorwort des Bandes. Das hat nämlich eine der AutorInnen der Studie, Barbara Unmüßig, mit ihrem Kollegen Ralf Fücks verfasst. Letzterer ist bislang eher durch undifferenzierte Green Economy-Werbung bekannt und beide sind hauptamtliche Vorstände der Heinrich-Böll-Stiftung. Beide schreiben: „Grüne Ökonomie … benennt viele Probleme richtig, verharmlost aber das Ausmaß des notwendigen Umsteuerns.“ Der angedeutete Lernprozess von Ralf Fücks ist im Lichte jüngerer Erfahrungen so nachvollziehbar wie politisch für den grünen Think-Tank Böll-Stiftung wünschenswert.

Hinweis:
* Thomas Fatheuer/Lili Fuhr/Barbara Unmüßig: Kritik der Grünen Ökonomie, 192 S., oekom: München 2015. Bezug: Buchhandel

Dr. Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und Kuratoriumsmitglied im Institut Solidarische Moderne. Kürzlich erschien von ihm: Schöne Grüne Welt. Zu den Mythen der Green Economy (Berlin 2015, 4. Auflage).

Posted: 5.1.2016

Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Brand, Wie Naturkapital die Natur desozialisiert. Kritisches Kompendium zur Grünen Ökonomie, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 5. Januar 2016 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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