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Zwischen Export, Austerität und leichtem Umsteuern

Artikel-Nr.: DE20120827-Art.43-2012

Zwischen Export, Austerität und leichtem Umsteuern

Abschwung in Osteuropa

Vorab im Web - Polen, die Tschechische Republik und die Slowakei haben die erste Phase der Krise 2008/2009 noch relativ gut überstanden. Doch jetzt sind sie erneut im Abschwung, die tschechische Ökonomie schrumpft sogar im europäischen Vergleich besonders rasch. Dies liegt an der extremen Sparpolitik der Prager Regierung, die noch stärker durchschlägt als die Abschwächungstendenzen im Export, schreibt Joachim Becker.

Polen verzeichnete als einziges EU-Land 2009 keine Rezession, wenngleich die industrielle Produktion zurückging und die ohnehin beträchtliche Arbeitslosigkeit anstieg. Bei der relativ günstigen BIP-Entwicklung kamen der polnischen Ökonomie die relativ starke Binnenorientierung und die Abmilderung der Exportminderung durch eine Abwertung des Zloty zu Gute. Die Binnennachfrage wirkte insgesamt stabilisierend.

* Polen: Zurück zur neoliberalen Orthodoxie

Allerdings war die Konsumnachfrage auch im bislang stärksten Krisenjahr zum Teil kreditgestützt. Die Kredite an Private legten selbst 2009 deutlich zu. Kredite sind jedoch keine stabile Grundlage für den Konsum. Und das zeigt sich jetzt auch in Polen. Der Anteil der notleidenden Kredite ist infolge der Krise von 5,5% Ende 2007 auf 7,7% Ende 2011 gestiegen – und liegt damit höher als in der Tschechischen Republik (6,0%) und der Slowakei (5,8%).

Der höhere Anteil der Problemkredite in Polen hängt damit zusammen, dass polnische Banken mit einem Anteil von 34,3% (2008) deutlich mehr Devisenkredite als die beiden Nachbarländer vergeben haben. Die KreditnehmerInnen mit Krediten in Schweizer Franken stöhnen unter der gestiegenen Schuldenlast.

Die liberale Regierung Tusk hatte auch relativ lang – bis nach den erfolgreich absolvierten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen – eine eher expansive Fiskalpolitik betrieben. Damit war es aber nach den Wahlen vorbei. Die Sparpolitik folgt nun wieder einer neoliberalen Orthodoxie.

Mit der Europa-Fußballmeisterschaft 2012 waren große Infrastrukturvorhaben verbunden, die nun abgeschlossen sind. Die Bauwirtschaft hat einen starken Einbruch erlitten, zahlreiche Baufirmen gingen in Konkurs. Wie das polnische statistische Amt in seinem jüngsten Bericht zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage festhält, schlägt nicht nur die nachlassende internationale Konjunktur, sondern auch die abgeschwächte Binnennachfrage negativ zu Buche.

* Tschechische Republik: Hausgemachte Rezession

Deutlich schlechter sieht die Lage in der Tschechischen Republik aus. Nach Griechenland, Portugal, Zypern und Italien – also den südlichen Krisenländern der Eurozone – weist die Tschechische Republik mit -1,2% im 2. Quartal 2012 die stärkste Schrumpfung des BIP im Vergleich zum Vorjahresquartal auf. Und dies ist auch kein Wunder. Wie das tschechische statistische Amt im seinem Bericht zur Wirtschaftsentwicklung 2011 festhält, fiel der „öffentliche Konsum im 4. Quartal (2011) genauso stark wie in Griechenland“, obwohl die Staatsverschuldung der Tschechischen Republik eine der niedrigsten in der EU ist.

Die tschechische Rechtsregierung nutzt die Krise als Vorwand, um den Sozialstaat systematisch zu untergraben und eine regressive Steuerstruktur zu etablieren. Kürzungen bei Sozialausgaben, Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und eine systematische Erhöhung der Mehrwertsteuer (v.a. des verminderten Satzes) sind Kernelemente dieser Politik. Sie begünstigt die Kapitalseite und gehobene Mittelschicht – und belastet alle anderen Bevölkerungsgruppen.

Der regressive Charakter dieser Politik wird inzwischen nicht nur von progressiven Kräften und den Gewerkschaften kritisiert, sondern auch aufgeklärtere liberale Sektoren, wie beispielsweise das Wochenmagazin Respekt, erkennen inzwischen den Zusammenhang zwischen Budgetkürzungen und BIP-Schrumpfung und bemängeln die regressive Steuerstruktur mit ihrer hohen und weiter steigenden Mehrwertsteuerbelastung und lächerlich geringen Vermögenssteuern.

Die zu tiefst unpopuläre Rechtsregierung erhofft sich Wachstumsimpulse vom Export. Dies ist angesichts der europäisierten Sparpolitik eine Illusion. Außerdem unterschätzen die tschechische Regierung und ihre neoliberalen Berater, wie die bekannte linke Ökonomin Ilona Švihlíková anmerkt, die Wichtigkeit des Binnenmarktes auch für eine stark exportorientierte Ökonomie wie jene der Tschechischen Republik.

* Slowakei: Möglichkeiten und Grenzen der Sozialdemokratie

Die Außenorientierung der slowakischen Ökonomie ist noch stärker – und noch einseitiger. Noch wird die slowakische Konjunktur – ein Plus des BIP von 2,9% im 2. Quartal 2012 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal – recht stark vom Autoexport getragen, und hier gibt es für die Zukunft große Fragezeichen. Die einseitige Produktionsstruktur ist die Achillesferse der slowakischen Ökonomie. Eine Diversifizierung, die längerfristig angelegt wäre, ist allerdings kein wirtschaftspolitisches Debattenthema.

Hingegen gibt es bei den Arbeitsbeziehungen und der Steuerpolitik Richtungsänderungen, die von kontoversen Debatten begleitet sind. Die im Frühjahr 2012 gewählte sozialdemokratisch orientierte Regierung geht bei den Arbeitsbeziehungen und in der Fiskalpolitik andere Wege als ihre rechte Vorgängerin und die derzeitige Prager Regierung. Nachdem die rechtsliberale Vorgängerregierung ArbeitnehmerInnenrechte erneut eingeschränkt hatte, beabsichtigt die Regierung Fico eine rechtliche Stärkung der ArbeitnehmerInnen (speziell bei Kündigungsfragen). Sie soll auch die „Scheinselbständigen“ umfassen, für die beispielsweise ein Mindestlohn und Urlaubsansprüche vorgesehen sind. Damit steht sie gegen den Trend, wie er von der Europäischen Kommission beispielsweise in den Kreditabkommen mit den verschuldeten südeuropäischen Ländern vorgegeben wird.

* Spielräume in der Steuerpolitik

Die Regierung Fico gestaltet das Steuersystem vorsichtig in eine progressivere Richtung um. Dies bedeutet einen Bruch mit der Flat Tax, einem einheitlichen Einkommensteuersatz von 19%, der einst als Modell für die ganze Region gepriesen wurde. Ab dem 1. Januar 2013 wird zumindest ein zweiter Einkommensteuersatz von 25% für Monatseinkommen ab 3246 Euro eingeführt. Hier wäre noch einige Luft für weitere Anhebungen. Für die Slowakei kommt allerdings bereits diese strukturelle Änderung einer kleinen Revolution nahe. Und die durch innere Auseinandersetzungen und Korruptionsskandale stark geschwächte Rechte hatte diesmal in der Debatte um ein Ende der Flat Tax deutlich schlechtere Karten als in der Vergangenheit.

Weiterhin gibt es einzelne Erhöhungen bei Vermögenssteuern, eine erhöhte Bankensteuer sowie die Einführung von Sondersteuern für regulierte Unternehmen, vor allem im Energie-, Pharma- und Telekommunikationssektor. Dies erfreut die Europäische Kommission nicht. Sie hat bereits eine Prüfung der Sonderabgabe angekündigt.

Der relativ progressive Charakter der Budgetpolitik hat allerdings bei der Orientierung auf eine Minderung des Budgetdefizits seine Grenzen. Die EU-Vorgaben der Austerität stellt auch die Smer-Regierung nicht in Frage. Die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und die durch diverse neue rechtliche Regulierungen radikalisierten Elemente der Regelbindung der Wirtschaftspolitik und die damit ausgebauten Eingriffsmöglichkeiten der Europäischen Kommission schränken die budgetpolitischen Handlungsspielräume auch der Slowakei empfindlich ein. Hierüber gibt es in der Slowakei – bis auf einzelne Ausnahmen – kaum eine kritische Diskussion. Aufgrund der engen Verbindung mit der deutschen Exportwirtschaft setzt die Regierung Fico auf einen Verbleib des Eurozonen-Mitglieds Slowakei in Kerneuropa.

Sowohl von den relativ engen Exportbindungen an die deutsche Exportwirtschaft als auch von den immer restriktiveren budgetären EU-Vorgaben gehen wachstumsabschwächende Impulse für die drei Visegrád-Länder aus. Weder über die starke Exportorientierung – speziell der Slowakei und der Tschechischen Republik – noch über die massiven Einschränkungen der parlamentarischen Entscheidungsspielräume bei wichtigen Parametern der Budgetpolitik durch die EU gibt es derzeit eine breitere Diskussion.

Hingegen ist die Steuerpolitik, in der es durchaus noch Spielräume gibt, durchaus ein kontroverses Thema. Ein Vergleich der Tschechischen Republik und der Slowakei zeigt, dass die Ausgestaltung der Steuern und der Ausgabenstruktur durchaus einen Unterschied macht. Die extreme Sparpolitik der tschechischen Rechtsregierung verstärkt nicht nur soziale Ungleichheit, sondern hat die tschechische Ökonomie auch in die verschärfte Rezession geschickt.

Dr. Joachim Becker ist a.o. Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Veröffentlicht: 27.8.2012

Empfohlene Zitierweise:
Joachim Becker, Zwischen Export, Austerität und leichtem Umsteuern. Abschwung in Osteuropa, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 27. August 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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