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Warum Chávez erneut die Wahl gewann

Artikel-Nr.: DE20121010-Art.52-2012

Warum Chávez erneut die Wahl gewann

Bestätigung des Linkstrends in Lateinamerika

Nur im Web - Hugo Chávez wurde am Sonntag mit einem Vorsprung von 11% zum Präsidenten Venezuelas wiedergewählt. Für die meisten Leute, die über ihn in den internationalen Medien gehört oder gelesen haben, ist dies wahrscheinlich eine irritierende Nachricht. Denn fast alle Nachrichten, die aus Venezuela zu uns gelangen, sind schlecht. Doch es gibt eine andere Seite der Geschichte, erklärt Mark Weisbrot.

Chávez ist ein streitsüchtiger Charakter, bricht Kämpfe mit den Vereinigten Staaten vom Zaum und macht sich gemein mit „Feinden“ wie dem Iran; er ist ein „Diktator“ oder „starker Mann, die den Ölreichtum der Nation verschwendet hat; die Wirtschaft ist von Knappheit geplagt und steht regelmäßig am Rande des Zusammenbruchs. Die andere Seite: Seit die Chávez-Regierung die Kontrolle über die nationale Ölindustrie gewonnen hat, ging die Armut um die Hälfte und die extreme Armut um 70% zurück. Die Einschulungsrate hat sich mehr als verdoppelt, Millionen Menschen haben erstmals Zugang zu medizinischer Versorgung, und die Zahl der Menschen, die Anspruch auf öffentliche Pensionen haben, hat sich vervierfacht.

* Nicht überraschend

So gesehen ist es nicht überraschend, dass die meisten Venezuelaner einen Präsidenten wiedergewählt haben, der ihren Lebensstandard verbessert hat. Genau das ging allen linken Regierungen, die jetzt in den meisten Ländern Südamerika regieren, genauso. Und dies trotz der Tatsache, dass sie – wie Chávez – in den meisten Fällen die Medien ihres Landes gegen sich hatten und ihre Opponenten den größten Teil des Reichtums und des Einkommens auf ihrer Seite hatten.

Die Liste schließt Rafael Correa ein, den 2009 mit großem Abstand wiedergewählten Präsidenten Ekuadors; den enorm populären Lula da Silva von Brasilien, der 2006 wiedergewählt wurde und 2010 erfolgreich für seine ehemalige Kabinettchefin, die heutige Präsidenten Dila Rousseff, Wahlkampf machte; Evo Morales, den ersten indigenen Präsidenten in einem mehrheitlich indigenen Land, der 2009 wiedergewählt wurde; José Mujica in Uruguay, der 2009 seinen Vorgänger beerbte, der von derselben politischen Allianz, der Frente Amplio, getragen wurde; und schließlich Cristina Fernández, die als Nachfolgerin des verstorbenen Néstor Kirchner 2011 die argentinischen Präsidentschaftswahlen mit einer soliden Mehrheit gewann und dabei auch die größten Medien gegen sich hatte.

Alle diese linken Präsidenten und ihre politischen Parteien wurden – wie Chávez – wiedergewählt, weil sie bemerkenswerte und in einigen Fällen enorme Verbesserungen des Lebensstandards brachten. Sie führten ihre Kampagne ursprünglich gegen den „Neoliberalismus“, ein Begriff zur Beschreibung der Politik der vorhergehenden 20 Jahre, als Lateinamerika seinen schlimmsten langfristigen wirtschaftlichen Niedergang seit über einem Jahrhundert erlebte.

* Ein weiterer “Schlag gegen den Imperialismus“

Da überrascht es nicht, dass die anderen linken Regierungen Venezuela als Teil eines Teams betrachteten, das der Region mehr Demokratie, nationale Souveränität und wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gebracht hat. Ja, auch Demokratie: Selbst das vielgeschmähte Venezuela wird vom größten Teil der wissenschaftlichen Forschung als demokratischer anerkannt, als es in der Ära vor Chávez war.

Und um Demokratie ging es, als Südamerika gegen Washington in solchen Fragen wie dem Militärputsch 2009 in Honduras zusammenstand. Die Meinungsverschiedenheit gegenüber Washington gingen so tief, dass sie unter Ausschluss der USA und Kanadas zur Bildung einer neuen amerikaweiten Organisation als Alternative zur US-dominierten Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) führten (CELAC als Zeichen einer neuen Realität).

So hörte sich Lula im letzten Monat an: „Ein Sieg für Chávez (in den kommenden Wahlen) ist nicht nur ein Sieg für das Volk Venezuelas, sondern ein Sieg für alle Menschen Lateinamerikas… dieser Sieg wird ein weiterer Schlag gegen den Imperialismus sein.“ Die anderen linken Präsidenten haben dieselbe Meinung von Chávez.

Die Bush-Administration verfolgte eine Strategie der Isolierung Venezuelas von seinen Nachbarn und isolierte schließlich sich selbst. Präsident Obama versprach 2009 auf dem Amerika-Gipfel, einen anderen Kurs einzuschlagen; aber er tat es nicht, und auf dem Gipfel von 2012 war er genauso isoliert wie sein Vorgänger.

* Die ökonomischen Fakten hinter der Meinungsmache

Obwohl die Medien seit über zehn Jahren von Geschichten über den bevorstehenden ökonomischen Zusammenbruch Venezuelas beherrscht werden, fand dieser nicht statt und wird wahrscheinlich auch nicht stattfinden. Seit der Erholung von der Rezession, die 2009 während der globalen Wirtschaftskrise begann, weist die venezuelanische Ökonomie Wachstum auf, und während sich das Wachstum beschleunigte, ging die Inflation stark zurück. Das Land verfügt über einen deutlichen Handelsüberschuss. Es hat reichlich Spielraum zur Schuldenaufnahme im Ausland (es hat von China 36 Mrd. Dollar zu sehr niedrigen Zinssätzen geborgt), und auch im Inland kann es zu niedrigen oder negativen Realzinsen Geld aufnehmen. Somit gäbe es selbst, wenn die Ölpreise wie 2008/2009 zeitweise zurück gehen, keinen Anlass zur Austerität oder zur Rezession. Und kaum einer sagt einen langfristigen Zusammenbruch der Ölpreise voraus.

Das US-Wirtschaftsembargo gegen Kuba ist jetzt über ein halbes Jahrhundert in Kraft – trotz seiner offenkundigen Dümmlichkeit und seines Versagens. Die Feindseligkeit der USA gegenüber Venezuela ist erst 12 Jahre alt. Obwohl man sich damit auch vom Rest der Hemisphäre isoliert, gibt es keine Anzeichen der Neubewertung.

Venezuela verfügt über rund 500 Mrd. Barrel Öl und verbraucht diese derzeit zu 1 Mrd. Barrel pro Jahr. Chávez oder ein Nachfolger derselben Partei wird das Land wahrscheinlich für viele weitere Jahre regieren. Die einzige Frage ist, wann Washington jemals – wenn überhaupt – die Ergebnisse des demokratischen Wandels in der Region akzeptieren wird.

Mark Weisbrot ist Ko-Direktor des Center for Economic Policy Research (CEPR) in Washington DC. Seit Kommentar erschien zuerst in der New York Times/International Herald Tribune.

Empfohlene Zitierweise:
Mark Weisbrot, Warum Chávez erneut die Wahl gewann. Bestätigung des Linkstrends in Lateinamerika, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Oktober 2012 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

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