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W&E-Debatte

EZ-Reform wohin? Zur Zukunft der Entwicklungshilfe

Bisherige Beiträge:

  • Einführung von Rainer Falk
  • Zum Afrika-Profilbildungsprozeß im BMZ von Jörg Goldberg
  • Erwiderung von Roger Peltzer auf Jörg Goldberg
  • Plädoyer des Netzwerks entwicklungspolitischer Fachleute zur stärkeren Berücksichtigung der Ernährungssicherung im Rahmen deutscher EZ
  • Diskussionsbeitrag von Christian Ruck zur Reform der deutschen EZ
  • Afrika-Profilbildung: Das BMZ positioniert sich
  • Diskussionsbeitrag von Andreas Brinkmann
  • Debatte? Ja, aber bitte intern! Von Rainer Falk
  • Jenseits der Institutionenenfrage. Von Thomas Fues

Debatte? Ja, aber bitte intern!

Zwischenruf von Rainer Falk

Seit die berühmte BMZ-Auftragsstudie von PricewaterhouseCoopers (PWC) erschienen ist, kreist die entwicklungspolitische Debatte in Deutschland, so scheint es, nur noch um eines. Um die Frage nämlich, ob die KfW jetzt die GTZ schluckt, die beiden Durchführungsorganisationen zu einer EZ-Agentur fusionieren oder irgendein anderes Modell der Kooperation die Zerspitterung der deutschen EZ-Einrichtungen überwinden kann.

* PricewaterhouseCoopers kommt

Die Diskussion darüber, wie die institutionelle Seite der deutschen Entwicklungspolitik künftig aussehen wird, ist nicht unwichtig. Eine Organisation namens „GermanAid“ wäre durchaus angesagt. Schließlich ist das Bild, das die Deutschen gegenüber den „Partnern“ in den Zielländern abgeben, aufgrund der Vielzahl der beteiligten Institutionen mehr als verwirrend. Die Diskussion hat aber auch die inhaltliche Debatte, wohin die EZ-Reform nun gehen solle, kalt erwischt, nicht zuletzt auch die Debatte auf dieser Website um die Zukunft der Entwicklungshilfe („EZ-Reform wohin?“).

Ob es jetzt um die organisatorische oder um die politisch-inhaltliche Seite der deutschen EZ geht – eine Gemeinsamkeit gibt es immerhin. Stets pflegen die deutschen Entwicklungspolitiker eine Tradition der besonderen Art: die Scheu vor der öffentlichen Kontroverse. Oder: Debatte ja, aber bitte intern.

Wie wir wissen, hat die an dieser Stelle geäußerte Kritik am Afrika-Profilbildungsprozeß des BMZ eine ganze Serie interner Briefings und Diskussionen ausgelöst. Auch eine „Klarstellung“ zum Thema erschien – im offizösen Organ der deutschen EZ, der Zeitschrift Entwicklung + Zusammenarbeit. Doch einen offenen Schlagabtausch im Internet mit den Kritikern mochten die Verantwortlichen dann doch nicht „stemmen“.

Ganz ähnliches läßt sich in der Debatte über die PWC-Studie beobachten. Der Bundestagsausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) hat die Studie in dieser Woche auf der Tagesordnung – hinter verschlossenen Türen, was diesmal die Fraktion Die Linke beantragt hatte. Einiges drang doch nach draußen. Die FDP macht auf strikte Oppositionspolitik und lehnt selbst die von der privaten Consulting favorisierte „Bank-Lösung“ ab; die Linkspartei ist noch auf der Positionssuche; bei den Koalitionsparteien tobt die Positionierung im Hintergrund – schließlich ist die KfW die Bastion von Ingrid Matthäus-Maier (SPD), und der eine Geschäftsführer der GTZ heißt Bernd Eisenblätter (CDU). Nur Bündnis 90/Die Grünen gaben ihre Position schon vorher öffentlich zu Protokoll: Wenn schon Reform, dann aber richtig.

* GermanAid – Warum nicht?

Auf einem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung über die „Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit“ wurde in der letzten Woche harsche Kritik an der auf Organisationsaspekte verengten aktuellen Debatte geübt. Die Sympathie der TeilnehmerInnen galt nicht der PWC-Option für eine „EZ-Agentur als KfW-Tochter“, sondern dem Vorschlag von Franz Nuscheler für eine German Development Agency. Diese müsse dann aber von Grund auf neu aus GTZ und KfW zusammengesetzt werden.

Selbst auf dem Workshop der grünnahen Stiftung galten jedoch die Chatham-House-Prinzipien, nach denen namentlich nicht zitiert werden darf. Zitieren wir also ohne Namensnennung: Im AWZ, so ein Diskussionsredner, herrsche eine eigenartige Kultur. Diese sei dadurch gekennzeichnet, daß öffentliche Kontroverse und Kritik an der EZ und ihren Organisationen tabu sind. Schließlich müßte die deutsche EZ vor Angriffen geschützt werden.

Da lobe ich mir doch den UN-Direktor Stephen Browne, der maßgeblich an der Ausarbeitung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) beteiligt war und sich jetzt mit einem Buch als einer der schärfsten Kritiker der Entwicklungshilfe profiliert (>>> Aid & Influence. Do Donors Help or Hinder?). Hilfe, so Brown, ist immer ein Einflußinstrument, manchmal relativ schwach, doch oft auch mit Zwang verbunden und sogar imperialistisch. Zwei Dinge müßten von den Gebern verlangt werden: Einerseits sollten sie Abstand nehmen von ihren paternalistischen und zentralistischen Planungskonzepten (siehe Good Governance), und andererseits sollten sie mehr in öffentliche Güter investieren – vom Schuldenerlaß über Fairen Handel und verantwortliches Wirtschaften bis hin zum Peacekeeping.

Und ich lobe mir Thomas Fues, dessen Überlegungen Jenseits der Institutionenfrage hoffentlich dazu beitragen, die Debatte auf dieser Website über die Zukunft der Entwicklungshilfe neu zu beleben.

(Veröffentlicht: 27.9.2006)


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Die EZ muß sich den Regeln des Marktes stellen

Zu den Beiträgen von Jörg Goldberg und Roger Peltzer

Von Andreas Brinkmann

Ernährungssicherung und Agrarwirtschaftsförderung schließen sich nicht aus; sie sollten vielmehr gleichzeitig erfolgen, wie Peltzer zutreffen herausstellt. Wenn Goldberg dagegen meint, Überlebenssicherung und Risikominimierung werden solange im Mittelpunkt der bäuerlichen Produktionsstrategie stehen, wie das unternehmerische Risiko den Hungertod bedeutet, dann muß dazu gesagt werden, daß die richtige Agrarförderung genau diese Gefahr auszuschließen versucht; und daß sie es kann, hat sie hinlänglich bewiesen. Der These Goldbergs, statt dessen an den vielfach gescheiterten Ernährungssicherungsprogrammen festzuhalten, widerspricht Peltzer zu Recht.

Eine Erhöhung der Einkommen der Kleinbauern, eine wesentliche Bedingung zur Verbesserung ihrer Ernährungssicherheit, kann, wie Peltzer darlegt, u.a. durch ihre Anbindung an agroindustrielle Kernunternehmen (Vertragsbauern) oder durch die Bildung leistungsfähiger Kooperativverbände unterstützt werden, die eine “Stärkung der Selbstorganisation der Vertragsbauern” gewährleisten sollen. Peltzer ist auch darin zuzustimmen, daß eine wichtige Interventionsmöglichkeit für die deutsche EZ u.a. in den Bereichen „Zertifizierung“ und „Finanzierung“ gesehen werden kann. Um die Armut der Kleinst- und Kleinbauern möglichst schnell und dauerhaft zu beseitigen, muß die Agrarförderung sicherlich umfassender konzipiert werden. Die EZ muß sich hierfür in Zukunft stärker den Marktbedingungen stellen, wobei die Exportorientierung für die Zielgruppe nicht immer der wichtigste Aspekt ist. Für viele Kleinstbauern sind lokale, regionale oder nationale Märkte der erste Ausstieg aus der Subsistenz. Aber auch diese Märkte erfordern eine gute Kenntnis des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage, die die Zielgruppe heute nur unzureichend besitzt.

Da die Regeln des Marktes in Afrika vergleichbar denen in Asien und Lateinamerika sind, ist man bei einer allgemeinen Analyse der Entwicklungshemmnisse der Klein- und Kleinstbauern nur vereinzelt auf nationale Besonderheiten angewiesen. Wenn Goldberg aus seinen Erfahrungen in Afrika den Schluß zieht, daß „Kernpunkt dabei nicht die fehlenden Marktstruktutren oder die Zugangsprobleme sind“, dann gilt das so sicherlich nicht für die überwältigende Zahl der Kleinbauern, die heute zwar noch nicht für den Markt produzieren, hierzu aber das Potential haben. Die Marktorientierung und Marktintegrierung dieser Zielgruppe ist eine notwendige Intervention, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den ländlichen Sektor wohl auf Dauer günstig sein werden, wie Peltzer zu Recht mit seinem Hinweis auf die „Hausse für Agrarprodukte“ herausstellt.

* Die Rolle des Gewinns überdenken

Was muß aber nun die EZ neben den vom Peltzer angesprochenen Zertifizierungen und Finanzdienstleistungen bereit stellen, um der Zielgruppe den Zugang zu den für sie angemessenen Märkten zu ermöglichen. Aufgabe muß es sein, die Einkommenssituation so zu verbessern, daß sie die Möglichkeit haben, für die von Goldberg dargestellten Risiken vorzusorgen. Hierzu müßte die EZ ihre Konzepte aber überdenken und, wie Peltzer fordert, eine klare Analyse der Ist-Situation vornehmen. Die Förderkonzepte sollten den Markt, d.h. seine Regeln, als zentralen Ort für Angebot und Nachfrage anerkennen. Das würde bedeuten, daß man z.B. allen Teilnehmern die mit der Herstellung, Weiterverarbeitung oder Bereitstellung eines Produkts befaßt sind, zugestehen muß, daß sie mit ihrem Einsatz Überschüsse, also Gewinne, erzielen wollen. Solange die EZ sich aber schwertut, die Bedeutung des Gewinns als Stimulus für Innovation und Leistung bei ihren Konzepten der Wirtschaftsförderung anzuerkennen und lieber NGOs stärkt, weil diese „frei von neoliberalen Verdächtigungen“ ohne Gewinnabsicht arbeiten, wird es schwierig sein, die Zielgruppe an den Markt heranzuführen. Man sollte innerhalb der EZ die Rolle des Gewinns überdenken und Wege suchen, wie die Klein- und Kleinstbauern auf diese für sie neuen Wirtschaftsbedingungen vorbereitetet werden können.

Die EZ ist nicht mehr nur auf Kooperativverbaende angewiesen, die ja, wie Pelzer zu Recht anmerkt, oftmals durch Governance-Defizite gekennzeichnet sind. Die EZ sollte sich nicht scheuen, Kleinunternehmer und kapitalistisch organisierte Gesellschaften von Kleinstunternehmern direkt zu fördern und ihnen zugestehen, daß sie diese Förderung auch nutzen, um Gewinn zu erzielen. Die EZ sollte Kriterien entwickeln, wie mit der Agrarförderung neben der Gewinnerzielung auch noch die strukturellen Nachteile kleiner Marktteilnehmer ausgeglichen werden können, was Pelzer mit seinem Hinweis auf die „ausgewogene balace of power“ deutlich macht. Aufgabe der EZ ist es, nicht nur Genossenschaften zu fördern, sondern auch kapitalistisch organisierte Zusammenschlüsse von Kleinstbauern, solange die Regeln transparent sind und die Interessen möglichst aller einbezogen werden. Weil bei den gegebenen Kräfteverhältnissen die Kleinen – auf jeden Fall die Unerfahrenen – oftmals benachteiligt sind, sollte die EZ versuchen diese Schwächen kompensatorisch auszugleichen.

Eckpunkt einer erfolgreichen Agrarförderung sollte die Stärkung aller an den vielzitierten Wertschöpfungsketten Beteiligten sein. Dieses Ziel erreicht man am sichersten mit konkreten Aktivitäten auf der Umsetzungsebene, die dann bei Erfolg Nachahmer finden und so die Strukturen für die Zielgruppe dauerhaft verbessern. Die Erweiterung des Angebots an Finanzdienstleistungen ist hierfür nur ein Mosaikstein. Wichtiger noch scheint auf der Umsetzungsebene ein verbessertes Angebot an BDS und die Anbindung der Zielgruppe an die für sie günstigsten Märkte. Auf der Makroebene könnte der Staat versuchen, die Nachteile der Zielgruppe auszugleichen, die sich aus den vom einzelnen Landwirt nicht beherrschbaren Risiken wie Klima und Preisschwankungen ergeben. Der Staat sollte dafür sorgen, daß der vielfach beschworenen Förderung des informellen Sektors durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen Rechnung getragen wird. Es geht also bei der Agrarförderung nicht darum, wie Goldberg schreibt, die Unternehmer von lästigen staatlichen Behinderungen zu befreien sondern darum, diesen einen geschützten Raum zu öffnen, in dem sie sich so entwickeln können, daß sie dauerhaft von den wachsenden Marktchancen im Agrarbereich profitieren können.

Andreas Brinkmann ist seit langem in der Entwicklungszusammenarbeit tätig.

(Veröffentlicht: 4.9.2006)


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Afrika-Profilbildung: Das BMZ positioniert sich

22.6.2006 – (RF) Gut zwei Monate nach der Kritik am Afrika-Profilbildungsprozeß des BMZ durch Jörg Goldberg im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung hat das Ministerium erstmals öffentlich reagiert – in der quasi-offiziellen Zeitschrift Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z). Verfasser des Beitrags, der auch auf der Website von E+Z gelesen werden kann, sind Andreas Foerster und Ralf Schröder, Mitarbeiter bzw. Leiter des Referats „Regionale Entwicklungspolitik/südliches Afrika“.

Der Beitrag wird im Inhaltsverzeichnis der Juni-Ausgabe von E+Z mit der Schlagzeile „Profilbildung Afrika – das BMZ positioniert sich“ angekündigt, ist dann selbst aber nur noch mit dem Motto „Politik auf Augenhöhe“ überschrieben. Er bestätigt die Absicht des BMZ, „sich mit Blick auf Afrika neu zu positionieren“ und dabei den Schwerpunkt auf die Bereiche Good Governance, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und Wasser zu legen, in denen die deutsche EZ angeblich „besonders kompetent“ sei. Etwa die Hälfte der deutschen EZ-Projekte in Afrika sei seit dem Jahr 2000 in diesen Bereichen konzentriert worden.

Obwohl der Beitrag als Reaktion auf die W&E-Debatte gedacht ist, wird auf die Ausgangskritik weder explizit Bezug genommen, noch wird der Versuch unternommen, diese in ihren wichtigsten Punkten zu entkräften. Auffällig ist jedoch die (im Vergleich zu den internen Dokumenten) größere sprachliche Vorsicht in der Darstellung nach außen. Nicht verwunderlich ist, daß der Profilbildungsprozeß als erfolgreiche Politik im Sinne der Einflußsteigerung des BMZ in Afrika dargestellt wird. Es gelänge „zunehmend, auf einzelnen Sektoren eine ‚Lead-Funktion‘ zu übernehmen. Die Aussichten sind gut, auch auf panafrikanischen und länderübergreifenden Diskussionsforen Einfluß zu nehmen.“ Interessant ist die Bemerkung, daß der Afrika-Profilbildungsprozeß auch der Vorbereitung auf die deutsche EU- und G8-Präsidentschaft im nächsten Jahr diene.

Eine andere Frage ist allerdings, ob die Ausführungen der beiden BMZ-Mitarbeiter geeignet sind, die Debatte beleben.


Die Strategiefähigkeit des BMZ optimieren!

Zur Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Die Restrukturierung der deutschen Entwicklungspolitik wird sich auf zwei Großbaustellen abspielen: Zum einen die Reform der institutionellen Aufstellung und der Durchführungsorganisationen und zum anderen die Reform der sektoralen und regionalen, also der inhaltlichen Schwerpunktsetzung. Beide Vorhaben sind miteinander verknüpft und sollten daher parallel angegangen werden, so wie im Koalitionsvertrag, den die CDU/CSU und die SPD gemeinsam vereinbart haben, festgelegt.

I. Die organisatorische Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit

Eines muß hinsichtlich der Reform der Durchführungsstruktur vorneweg klargestellt werden: Wir stehen vor einem ergebnisoffenen Prozeß. Der Prozeß ist transparent organisiert und steht allen Teilnehmern offen. Während dieses Prozesses ist insbesondere auf die unterschiedlichen Kulturen der Durchführungsorganisation zu achten und dafür Sorge zu tragen, daß es am Ende des Reformprozesses keine Verlierer gibt. Eine win-win-Situation muß unser Ziel sein – für die Menschen in unseren Organisationen und für die Menschen in unseren Partnerländern.

In diesem Reformprozeß steckt eine hohe politische Brisanz. Daher ist es wichtig, daß wir gerade jetzt, in der Großen Koalition, den Durchbruch schaffen. In anderen parteipolitischen Formationen wird es sehr schwierig, zu einer einvernehmlichen Lösung zu finden. Unsere bisherige Erfahrung in der großen Koalition stimmt mich recht zuversichtlich, daß wir es schaffen können.

Die entwicklungstheoretische Debatte dreht sich vorrangig um Governance-Probleme der Empfängerländer. Dabei stehen auch die Geberländer vor erheblichen Problemen bei der Ausrichtung und Organisation der eigenen Struktur. In der deutschen Entwicklungspolitik ist die Fragmentierung der Geberstruktur besonders groß und bedarf daher einer einschneidenden Revision. Nur so können wir die Wirksamkeit vor Ort erhöhen und die überhöhten Transaktionskosten im komplizierten Abstimmungsprozeß senken.

* Stärken, aber auch Schwächen

Zunächst benötigen wir eine gemeinsame Defizitanalyse, um die Ausgangsposition unseres Reformprozesses zu bestimmen. Der DAC Peer Review-Bericht, der an anderer Stelle hier schon behandelt wurde (>>> W&E 02-03/2006), war sehr hilfreich. Er hat unsere Analyse, die uns während der Koalitionsverhandlung den Weg wies, bestätigt.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat viele Stärken. Dazu gehören mittlerweile die Ausrichtung der deutschen EZ auf die globale Strukturpolitik, die zunehmende Ausrichtung auf die Armutsbekämpfung und immer schon die hohe technische und handwerkliche Qualität und die gute operative Arbeit der deutschen Durchführungsorganisationen.

Aber die Struktur der deutschen EZ hat auch einige Schwächen. Sie ist vor allem nicht strategiefähig. Das BMZ mischt sich zu häufig und zu tief in die Details der Durchführungsprobleme auf technischer Ebene ein und vernachlässigt darüber seine strategische Steuerungs- und Koordinierungsfunktion. Die Fragmentierung der Durchführungsstruktur wurde schon angesprochen: Da mehrere Organisationen parallel in den gleichen Sektoren tätig sind, kommt es zu erheblicher Doppelarbeit und einem zeit- und kostenintensiven Koordinierungsaufwand. Die Vertretung der deutschen EZ vor Ort ist derzeit auch sehr undurchsichtig.

Ich fasse zusammen: Die deutsche EZ ist technisch ausgezeichnet, aber in ihrer strategischen Aufstellung und internationalen Einbindung – wenn auch auf hohem Niveau – verbesserungsfähig.

* Die künftigen Herausforderungen

Die künftige deutsche Entwicklungszusammenarbeit muß auf die künftigen Herausforderungen eingestellt werden. Welche sind dies? Derer sind mindestens drei zu identifizieren: 1. Die deutsche EZ muß künftig globale Herausforderungen bewältigen, 2. sich auf bestimmte strategische Partnerschaften hin ausrichten und 3. einen Beitrag zur Lösung regionaler Krisenherde leisten.

1. Zu den globalen Herausforderungen zählen wir die Konzentration auf Global Governance, die Erreichung der Millenniumsziele mit all ihren sektoralen Unterzielen, die Umsetzung der Paris-Deklaration und die inhaltliche und strategische Verbindung der Entwicklungspolitik mit der Außen- und Sicherheitspolitik. Dies verlangt eine hohe Strategiefähigkeit der deutschen Entwicklungspolitik.

2. Neben den globalen Herausforderungen erwarten uns aber auch spezielle, regionale Herausforderungen. Insbesondere der Aufstieg der rohstoffhungrigen Schwellenländer, wie China und Indien, verlangt von uns eine angemessene strategische Antwort, die unter Umständen zur Wiederbelebung der Geoökonomie führen kann. Die Klärung des Verhältnisses zwischen altruistischer Entwicklungspolitik und eigeninteressengeleiteter Geopolitik in einer multipolaren Welt wird zur strategischen Herausforderung der künftigen Jahre. Im direkten Zusammenhang mit diesen Erwägungen stehen wir auch vor der Notwendigkeit, die Entwicklungspolitik künftig mit der Energiepolitik zu verknüpfen – vor allem auch, weil die Auseinandersetzung um Ressourcen in den Entwicklungsländern häufig ein zentraler Grund für die Unterentwicklung ist. Unsere Zusammenarbeit mit den Schwellenländern muß daher mit Weitsicht auf eine neue strategische Grundlage gestellt werden.

3. Daneben fordern uns regionale Krisen- und Konfliktherde, in denen Deutschland einen Beitrag zur Stabilisierung leisten muß. Dazu gehört Lateinamerika, das lange Zeit vernachlässigt wurde, nun aber durch einen linkspopulistischen Schub Gefahr läuft, seine politischen Strukturen zu vermischen. Zudem stehen wir vor drängenden Problemen mit und in der islamischen Welt, die eine angepaßte Antwort auch in der Entwicklungspolitik verlangen. Wir benötigen daher intelligente Regionalkonzepte.

Welche Leistungen muß die deutsche Entwicklungspolitik künftig angesichts der herausgearbeiteten Schwächen und künftigen Herausforderungen leisten?

Die Entwicklungsagenda wird, wie wir sahen, zunehmend auf internationaler und regionaler Ebene bestimmt – weniger in einzelnen Projekten. Die deutsche technische Zusammenarbeit muß daher auf die internationale Agenda ausgerichtet werden, insbesondere im Bereich der Programm-Orientierung, internationale Arbeitsteilung und Alignment.

Desweiteren muß die strategisch-intellektuelle Kompetenz der deutschen EZ ausgebaut werden, um das internationale Agenda-Setting im eigenen Sinne durch innovative Lösungsvorschläge stärker mitgestalten zu können. Dafür müssen wir an drei Schnittstellen der entwicklungspolitischen Entscheidung präsent und überzeugungsstark sein: 1. bei der Koordinierung vor Ort durch eine stärkere Vertretung des BMZ, 2. bei der innerdeutscher Debatte über die Prioritäten und Verzahnung des deutschen Außenhandelns insgesamt und 3. bei der Lösungsfindung auf internationalem Parkett durch einen stärkeren intellektuellen Input und durch eine stärkere Personalpräsenz. Dazu müssen deutsche think tanks im Bereich der Entwicklungsforschung – und auch Foren für den geistigen Austausch, wie dieses hier – gestärkt werden, damit die deutsche EZ die intellektuelle Meinungsführerschaft in der internationalen Auseinandersetzung um künftige Strategien und Schwerpunkte übernehmen kann.

* Konsequenzen

Die eben angestellten Überlegungen führen uns zu folgenden Lösungsansätzen bzw. institutionellen Konsequenzen:

1. Die Strategiefähigkeit des BMZ muß gestärkt werden, und zwar durch die klare Definition seiner Kernaufgaben. Dazu gehört vor allem die Erstellung strategischer Vorgaben für die Durchführungsorganisationen und die Stärkung der Repräsentanz vor Ort.

2. Die Verzahnung der finanziellen und technischen Zusammenarbeit muß vorangetrieben werden. Wie dies genau gemacht werden kann, steht noch nicht fest. Aber wir haben ein Gutachten in Auftrag gegeben, das mehrere Optionen analysieren wird, damit in einem transparenten Verfahren die politische Entscheidung für einen der Strukturreform-Ansätze gefällt werden kann. Mindestens aber sollte eine gemeinsame Einheit für die Strategie- und Instrumente-Entwicklung geschaffen, die Außendarstellung und -ansprechbarkeit zusammengelegt und gemeinsame Schwerpunktstrategien der TZ- und FZ-Organisationen für gemeinsame sektorale Kompetenzen geliefert werden. Insbesondere die Sektor-Koordinierung vor Ort muß weiter vereinfacht, institutionalisiert und durch ein gemeinsames Wissensmanagement sichergestellt werden.

Die wissenschaftliche Politikberatung und die Arbeit der Stiftungen im Bereich Entwicklungspolitik müssen noch ausgebaut werden. Die Unabhängigkeit der Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und der kirchlichen Organisationen muß unbedingt erhalten bleiben. Doch ist es sinnvoll, diese Akteure in die Strategieentwicklung der staatlichen EZ mit einzubeziehen, ohne ihre freie Entscheidung einzuschränken. Sie haben eine wichtige flankierende Funktion und können auch in solchen Bereichen und Regionen tätig werden, in denen sich eine staatliche Einmischung verbietet.

II. Die regionale und sektorale Schwerpunktsetzung

Die Notwendigkeit einer Konzentration und Schärfung der sektoralen und regionalen Kompetenzen – und zwar im Rahmen einer internationalen und europäischen Arbeitsteilung – ist unbestritten. Nicht trotz, sondern gerade weil wir in den kommenden Jahren mit einer höheren ODA-Quote und damit mit zusätzlichen Mitteln für die Entwicklungszusammenarbeit rechnen dürfen, ist Dringlichkeit geboten. Die Erhöhung der ODA-Quote macht nur Sinn, wenn sie mit einer Effizienz- und Wirkungssteigerung vor Ort verbunden wird. Und diese erreichen wir am ehesten, wenn wir unsere Fähigkeiten bündeln und gezielt einsetzen, statt nach dem Gieskannenprinzip vorzugehen.

* Eigeninteresse und Profilschärfung

Folgende zwei Kernfragen müssen bei der Festlegung der Schwerpunkte der deutschen EZ berücksichtigt werden:

Die Frage nach der Gewichtung der deutschen Eigeninteressen bei der Auswahl der Schwerpunktländer. Die staatliche EZ ist dem Bundesbürger Rechenschaft schuldig und muß ihm angesichts knapperer Haushaltskassen und konsequenter Kürzungen im Sozialbereich den Mehrwert der Entwicklungspolitik veranschaulichen können. Entwicklungspolitik ist langfristig am ehesten zu verteidigen, wenn sie im gegenseitigen Interesse operiert und auch dem deutschen Bürger erkennbare Vorteile bringt. Dazu gehört die Verringerung der Armut in der Welt als Schutz vor Migrationsbewegungen und sozialen Unruhen, genauso wie der Schutz der Schöpfung und die globale Gefahrenabwehr durch eine internationale Umwelt-, Energie- und Antiterrorpolitik und die Stärkung des deutschen Gewichtes bei Fragen der internationalen Sicherheitsarchitektur angesichts uns betreffender Krisensituationen. Diese Erörterung der deutschen Interessen ist bei der Auswahl der vorrangigen Partnerländer neben der Solidarität gegenüber den unter Armut leidenden Bevölkerungen in den Entwicklungsländern und in Katastrophengebieten heutzutage nicht mehr zu vernachlässigen.

Außerdem müssen wir zu einer sektoralen Profilschärfung gelangen. Die Auswahl bestimmter Sektor-Qualifikationen als international anerkannte Markenprodukte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist notwendig und sollte bei der Auswahl der Länder einbezogen werden. Die deutsche technische Zusammenarbeit genießt bei den Empfängerländern, aber auch bei vielen anderen Partnerländern einen sehr guten Ruf. Nicht von ungefähr steigt das Volumen der Aufträge von Dritt-Gebern an unsere Durchführungsorganisationen gewaltig. Besonders im Wasser-, Bildungs-, capacity-building- und Umweltschutz-Sektor sind die deutschen Entwicklungshelfer Weltklasse. Wir müssen dieses Profil schärfen und auf dem Weltmarkt der internationalen Entwicklungszusammenarbeit offensiv vertreten.

Daneben gilt es jene Sektoren zu identifizieren, die für die Entwicklung der Partnerländer ausschlaggebend sind: Nach Auffassung unserer Fraktion sind dies der Aufbau funktionierender Staatstrukturen, Bildung/Ausbildung, ländliche Entwicklung, Umwelt- und Ressourcenschutz, Infrastrukturentwicklung und der Aufbau marktwirtschaftlicher Strukturen. Sicher gibt es noch andere entwicklungsrelevante Sektoren, doch sollten wir diese im Sinne einer internationalen und europäischen Arbeitsteilung unseren Partnern überlassen, um Doppelkapazitäten zu vermeiden bzw. abzubauen.

Zuletzt muß jedoch auf eine gewichtige Tatsache hingewiesen werden, die bei allem Optimierungsehrgeiz in der deutschen EZ nicht außer Acht gelassen werden darf: Die Wirksamkeit der deutschen Reformen hängt letztendlich von der Performance, den Governance-Strukturen und der politischen und sicherheitspolitischen Stabilität der Empfängerländer ab. So wie wir uns bemühen, unsere Strukturen zu verbessern, müssen auch unsere Partner ihr Bestes geben, ihre Eigenverantwortung wahrnehmen und ihren Beitrag zu einem gemeinsamen Gelingen leisten.

Dr. Christian Ruck, MdB, ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und stellvertetender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

(Veröffentlicht: 24.5.2006; dieser Beitrag als PDF-Download hier [125 KB] )


Good Governance eßbar machen!

Oder: Mehr tun für MDG 1. Für eine stärkere Berücksichtigung von Ernährungssicherung im Rahmen der deutschen EZ

Positionspapier des Netzwerks entwicklungspolitischer Fachleute

In regelmäßigen Abständen wird die Öffentlichkeit durch Hungerkrisen in den Ländern des Südens aufgeschreckt. Angesichts dieser Realität und der etwa 800 Millionen Menschen, die mehr oder minder dauerhaft unter Hunger zu leiden haben, hat die Bundesregierung sich im Rahmen des Millenium Development Goals 1 und ihrem Aktionsprogramm 2015 u.a. dazu verpflichtet, zu einer Halbierung des Anteils der unter Armut (MDG 1/a) und Hunger (MDG 1/b) leidenden Menschen bis 2015 beizutragen.

* Fehlende Umsetzungsschritte

Diesen begrüßenswerten Absichtserklärungen folgten bislang keine entsprechenden Schritte der Umsetzung. Viele Entscheidungen im BMZ während der vergangenen beiden Jahre deuten eher auf einen Abbau der Anstrengungen zugunsten einer strukturellen Bekämpfung von Nahrungskrisen und Unterernährung hin:

+ Der Budgettitel für Ernährungssicherungsvorhaben wurde 2004 gestrichen, ohne daß an anderer Stelle die Anstrengungen zur Reduzierung des Hungers verstärkt wurden. Die Berücksichtigung des Ernährungssicherungsziels im Budgettitel für Not- und Übergangshilfe ist kein angemessener Ersatz, da der Großteil der unter Hunger leidenden 800 Millionen Menschen nicht in 'Nothilfe-Regionen' lebt, sondern von strukturellen Ursachen von Hunger betroffen ist. Auch der Sektor Ländliche Entwicklung/Welternährung im BMZ, dessen Arbeit am Ziel der strukturellen Ernährungssicherung orientiert ist, der aber seit Jahren unter rückläufiger Ressourcenausstattung leidet, erhielt keine zusätzlichen Mittel für das Erreichen des MDG 1/b.

+ Obgleich die Bevölkerung in Afrika südlich der Sahara am stärksten von Ernährungsunsicherheit betroffen ist, ist nur noch in einem afrikanischen Land (Äthiopien) das Thema Ernährungssicherung als Schwerpunkten der deutschen EZ verankert. In einigen Ländern Afrikas (z. B. Malawi, Mozambique) mußten deshalb sogar erfolgreiche Maßnahmen zur verbesserten Ernährungssicherung entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der betreffenden Partnerregierungen, abgebrochen werden.

+ In der neuen Afrikastrategie des BMZ (2004) und den Aktionsfeldern zu deren Umsetzung findet der Aspekt der Reduzierung des Hungers allenfalls indirekt Erwähnung. Selbst in der neuen Strategie ('Profilbaustein') zur "Agrarwirtschaftsförderung" wird das Ziel der Bekämpfung des Hungers nicht erwähnt. Auch wird kein Bezug zu MDG 1 hergestellt.

So ist es nicht erstaunlich, daß im DAC Peer Review-Bericht von 2005/2006 bemängelt wird, daß es die deutsche EZ bis 2004 versäumt habe, konkrete Umsetzungsprogramme für ihren umfassenden Armutsminderungsansatzes (Aktionsprogramm 2015) zu definieren. Bemerkenswert ist dieser Vorwurf insofern, als ähnliche Rügen häufig (nicht ganz zu unrecht) von Vertretern der deutschen EZ gegenüber den Regierungen der Partnerländer im Süden bzw. Osten vorgebracht werden.

* Good Governance und Ernährungssicherung

Wir sind uns darüber im klaren, daß Ernährungssicherung in der Verantwortung der Gesellschaften und Regierungen der Partnerländer liegt. Die Verantwortung der internationalen Gebergemeinschaft im Hinblick auf die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung (zu dem sich fast alle Staaten verpflichtet haben) besteht jedoch darin, daß bei den Bemühungen um eine verbesserte Regierungsführung und der Stärkung demokratischer und marktwirtschaftlicher Institutionen dem Anliegen von MDG 1 voll Rechnung getragen wird. „Good Governance“ darf kein abstraktes Leitbild bleiben. Bessere Regierungsführung führt nur zu realen Verbesserungen für die Bevölkerung, wenn dieses Ziel themenspezifisch konkretisiert wird. Es geht also darum, Politiken, Strategien und Instrumente der Ernährungssicherung zum Gegenstand von „Good Governance“ zu machen.

Das hierzu erforderliche fachliche Wissen liegt in der deutschen EZ als Ergebnis der Erfahrungen aus Ernährungssicherungsprogrammen und anderen relevanten Interventionsbereichen vor. Dieses Wissen wird gegenwärtig bereits in einzelnen Ländern (z. B. Äthiopien, Kambodscha) bei der Beratung der Erstellung nationaler Ernährungssicherungsstrategien angewandt und von internationalen Organisationen wie dem Welternährungsprogramm (z. B. in Nepal) nachgefragt. Bei der Formulierung von nationalen Armutsminderungsstrategien (PRS) fand es hingegen bislang kaum Verwendung.

* Unsere Vorschläge

(1) Um einen signifikanten Beitrag der deutschen EZ zu MDG 1/b leisten zu können, muß das Ziel der Ernährungssicherung im Rahmen der Beratung und Finanzierung der Partnerländer in allen relevanten Sektoren und auf allen Ebenen verankert werden („Mainstreaming“).

(2) Die Umsetzung dieses Ziels erfordert ein in den Institutionen der Partnerländer zu verankerndes integriertes Präventions-/Nothilfe- und Rehabilitationskonzept mit Schwerpunkt auf präventiven, langfristig wirkenden Strategien (als Teil nationaler Armutsminderungs- und Ernährungssicherungs-Politik).

(3) Wirksame Präventionsstrategien (um diese geht es uns hier; den Erfordernissen von Nothilfe und Rehabilitation wird von der deutschen EZ bereits hinreichend Aufmerksamkeit gewidmet) müssen folgende Aspekte berücksichtigen:

+ Nahrungsmittelproduktion,

+ Vermarktung, Lagerung und Aufbereitung von Nahrungsmitteln, die für ein stabiles Angebot und die Verfügbarkeit grundlegend sind,

+ Zugang zu Nahrungsmitteln, insbesondere seitens armer Bevölkerungsgruppen per Kaufkraft oder per Umverteilung,

+ Verwendung/Konsum und ernährungsphysiologische Verwertung von Nahrungsmitteln, welche u.a. von der Abwesenheit von Infektionskrankheiten, z. B. Durchfallerkrankungen (also sauberem Trinkwasser, guter Hygiene, Funktionierenden Gesundheitsdiensten) abhängen.

Ernährungssicherung geht also weit über Ernährungsberatung und Nahrungsmittelhilfe hinaus. Es umfaßt nahezu alle Bereiche von Armutsminderungsstrategien. Im weiteren Sinne gehört dazu auch Konfliktvermeidung und Katastrophenvorsorge. Auch mit der Bekämpfung von HIV/AIDS gibt es vielfältige wechselseitige Zusammenhänge.

(4) Interventionen der deutschen EZ müssen auf mehreren Ebenen ansetzen, um zu bewirken, daß die Verringerung von Hunger und Unterernährung Bestandteil internationaler, nationaler und lokaler Politik wird:

(5) Auf internationaler Ebene gilt es, die Regeln des Welthandels so zu beeinflussen, daß einerseits die Nahrungsmittelproduktion und die Erwirtschaftung von Einkommen aus landwirtschaftlicher und gewerblicher Produktion in den Ländern des Südens nicht beeinträchtigt werden (vgl. AP 2015), daß aber andererseits die Bevölkerung in Ländern ohne Expansionspotential im Bereich der Nahrungsmittelproduktion Zugang zu erschwinglichen Grundnahrungsmitteln behält. Diesbezüglich hat die Bundesregierung im Rahmen der WTO-Verhandlungen Schritte in die richtige Richtung unternommen (bislang freilich mit begrenztem Erfolg).

(6) Auf nationaler Ebene gilt es, bei der Politikberatung der Länder des Südens Ernährungssicherung zum Gegenstand aller relevanten Regierungsprogramme (vor allem Landwirtschaft, Wirtschaftsförderung, Infrastruktur, Außenhandelspolitik, Sozialpolitik, Gesundheit, Bildung und Ernährungsberatung) zu machen. Dadurch sollen bessere Rahmenbedingungen für lokale Strategien zur Reduzierung von Ernährungsunsicherheit geschaffen werden. Insbesondere ist darauf hinzuwirken, daß das Ziel der Ernährungssicherung strategisch konsequenter und fachlich fundierter in nationalen Armutsminderungsstrategien verankert wird.

(7) Auf der (sub-nationalen) regionalen bzw. lokalen Ebene kommt es darauf an,

a. kontextgerechte technische und institutionelle Lösungen unter Berücksichtigung vorhandener lokaler Problemlösungsstrategien identifizieren zu helfen,

b. arme Bevölkerungsgruppen, insbesondere Frauen, so weit zu organisieren, daß sie ihre Interessen im Rahmen lokaler Demokratie besser vertreten, sich auf Märkten gemeinsam strategischer verhalten und soziale Sicherungssysteme sowie Dienstleistungen managen können („Empowerment“),

c. den Aufbau notwendiger lokaler Institutionen zu fördern,

d. die Finanzierung eventuell notwendiger Investitionen durch FZ zu unterstützen,

e. die lokale Umsetzung der Maßnahmen zu beobachten und zu evaluieren, um dadurch eine Grundlage für öffentliche Kontrolle zu schaffen.

Dabei sind zwei Formen von Unterstützung zu unterscheiden: Eine politisch verstandene partnerschaftliche TZ soll temporär dabei helfen, situationsgerechte Lösungen zu identifizieren und lokale Institutionen aufzubauen. Durchführungsaufgaben hingegen sollen durch vorhandene öffentliche und private Dienstleister per Auftragsverfahren erfolgen und aus Haushaltsmitteln des Partnerlandes (nötigenfalls unterstützt durch FZ) finanziert werden.

(8) Zur Umsetzung solch eines Konzepts einer stärker auf Ernährungssicherung hin orientierten „Good Governance“-Förderung seitens der deutschen EZ schlagen wir vor,

+ die jeweils relevanten Strategieelemente von Ernährungssicherung in die entsprechenden BMZ Sektorpolitikpapiere aufzunehmen und diese somit im Hinblick auf MDG 1/b zu konkretisieren,

+ Ernährungssicherung als integralen Teil der Schwerpunktbereiche bzw. 'Profilbausteine' Governance, Dezentralisierung, Wirtschaftsförderung, ländliche Entwicklung etc. zu berücksichtigen,

+ auf dieser Basis Regierungsberatung bei Erstellung und Umsetzung nationaler oder regionaler Ernährungssicherungs-Programme als wesentlichen Bestandteil der Förderung von „Good Governance“ und der Unterstützung von Armutsminderungsstrategien fortzusetzen und bedarfsgerecht zu verstärken,

+ im Rahmen programm-orientierter Gemeinschaftsfinanzierung spezifische Fonds für Nahrungsmittelhilfe, für Mikrofinanzierungssysteme sowie für eine subsidiäre Unterstützung lokaler sozialer Sicherungssysteme etc. zu unterstützen.

Es geht hier also nicht um eine Wiederbelebung der alten Ernährungssicherungsprogramme der deutschen EZ, sondern um eine langfristige Verankerung präventiver Ernährungssicherungsstrategien in der Politik der Partnerländer.

Wir befürchten, daß sich die Häufigkeit von Nothilfesituationen weiterhin erhöhen wird, wenn ein immer größerer Anteil der EZ-Mittel in Nothilferegionen geht und dabei Krisenprävention durch eine am Ziel der Armutsminderung orientierte EZ entsprechend vernachlässigt wird. Eine umfassende Ernährungssicherungsstrategie – wie sie hier in Umrissen skizziert wurde – aber trägt nicht nur zur Vermeidung von Nahrungskrisen bei, sondern erlaubt auch eine stärkere Annäherung an die Millenium Development Goals.

Das Netzwerk entwicklungspolitischer Fachleute ist ein vor elf Jahren gegründeter Zusammenschluß, dem hauptsächliche freie entwicklungspolitische GutachterInnen angehören.

(Veröffentlicht: 24.5.2006; dieser Beitrag als PDF-Download hier [125 KB])


EZ-Reform wohin? Neue Beiträge zur Debatte

24.5.2006 - (RF) So groß das allgemeine Interesse auch sein mag, so sehr bedarf es mitunter der Zeit, damit sich Widerspruch und Zuspruch konkretisieren, Rede und Gegenrede artikulieren können. Fürs erste haben uns Michael Brüntrup (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik) und Theo Rauch (freier Gutachter) eine Stellungnahme des Netzwerks entwicklungspolitischer Fachleute zur Verfügung gestellt, und mit Christian Ruck, MdB, beteiligt sich eines der profiliertesten Mitglieder des Bundestagsausschusses für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) an unserer Debatte.

Das Positionspapier des Netzwerks nimmt direkt auf den Afrika-Profilbildungsprozeß Bezug und weist auf gravierende Leerstellen der Afrikastrategie des BMZ im Bereich der Ernährungssicherung hin. Es bemüht sich darum, zwei Debatten zusammenzuführen, die derzeit weitgehend ohne Bezug zueinander geführt werden, die Förderung von „Good Governance“ einerseits und die Umsetzung der MDGs andererseits. Mehr tun muß das BMZ nach Auffassung der AutorInnen vor allem im Bereich von MDG 1 (Halbierung der Armut und Halbierung der Zahl der Hungernden).

Auf die anstehende Restrukturierung der deutschen EZ insgesamt bezieht sich der Diskussionsbeitrag von Christian Ruck. Er sieht die Probleme vor allem in einer ungenügenden Strategiefähigkeit der deutschen EZ und macht Vorschläge für eine große Reform der deutschen Entwicklungspolitik, sowohl ihrer institutionellen und organisatorischen Struktur als auch ihrer regionalen und sektoralen Schwerpunktsetzung. Unter den Bedingungen der derzeit amtierenden Großen Koalition sieht Ruck dafür gute Ansatzpunkte.

Weitere Beiträge sind angekündigt.


Klassische Projekthilfe ist eine Sackgasse!

Armutsbekämpfung im ländlichen Raum. Eine Erwiderung auf Jörg Goldberg

Von Roger Peltzer

Jörg Goldbergs These, daß der Profilbildungsprozeß im BMZ eine „Rolle rückwärts“ darstellen würde und neoliberal ausgerichtet sei, ist energisch zu widersprechen. Um in der Terminologie von Jörg Goldberg zu bleiben, bedarf es schon einer gewissen „Blauäugigkeit“ und an mangelnder kritischer Selbstreflexion, um der überkommenen deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) in der Bekämpfung ländlicher Armut größere Erfolge zuzuschreiben.

Jörg Goldbergs Argumentation hat zwei systematische Schwächen. Er ignoriert, daß sich die internationale EZ im Bereich der Bereitstellung sozialer Basisleistungen neu aufstellt, und er negiert das erhebliche marktorientierte Entwicklungspotential kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Afrika.

* Trend zur Budgethilfe

In der internationalen EZ-Diskussion gibt es einen weitgehenden Konsens, daß soziale Basisleistungen wie Bildung, Basisgesundheitsversorgung etc. eben nicht mehr über tausende zersplitterter Projekte, sondern vorzugsweise über die zuständigen nationalen Ministerien bereitgestellt werden sollen. Dazu erhalten diese Budgethilfe oder Programmorientierte Gemeinschaftshilfe. Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfolgt nicht mehr über teure ausländische Experten (deren Gehälter und Infrastrukturkosten vielfach mehr als die Hälfte des Budgets in Anspruch nehmen, das eigentlich für die Armutsbekämpfung vorgesehen war), sondern über nationale Fachkräfte. Und die Geberländer beraten und intervenieren nur noch auf der Ebene der Programmentwicklung, -steuerung und -kontrolle. Dort wo keine einigermaßen ausgebaute staatliche Strukturen vorhanden, die Gefahr des Mißbrauchs sehr hoch ist und/oder effiziente private Träger existieren, können solche Programme auch über Nichtregierungsorganisationen abgewickelt werden. Diese werden ihrerseits aber auch umso wirksamer sein, wie sie sich auf leistungsfähige lokale Partnerorganisationen stützen können.

Der Weg zur international koordinierten Budgetfinanzierung für Staaten, aber auch immer stärker für leistungsfähige private Träger, die diese Mittel durchweg mit lokalem Personal umsetzen, ist natürlich mit Schwierigkeiten, Widersprüchen und Defiziten verbunden, aber er ist unumkehrbar. Wer die Auswertung der Berichte zur Tsumanihilfe sorgfältig liest, wird durchgängig feststellen, daß das Vorhandensein von einigermaßen funktionsfähigen lokalen staatlichen und privaten Strukturen mit Blick auf die unmittelbare Katastrophenbewältigung, aber auch mit Blick auf den langfristigen Wiederaufbau der Schlüssel jedweder Nachhaltigkeit ist. Jeder noch so gut gemeinte „Hilfsimperialismus“ kann dies nicht ersetzen bzw. läuft Gefahr, die Verhältnisse zu verschlimmbessern.

* Agenda-Setting über bilaterale EZ

Aus den genannten Gründen wird ein zunehmend großer Anteil der deutschen EZ in Zukunft in multilateral koordinierte Formen der Budgethilfe, Programm- und Sektorfinanzierung fließen, und dies ist sinnvoll. Dennoch verbleibt die Frage, wie die verbleibenden bilateralen Spielräume so genutzt werden können, daß die deutsche EZ systematisch mit eigenen Akzenten und Programmpunkten über „Agenda-Setting“ die internationale Diskussion und Meinungsbildung konstruktiv beeinflußt. Deshalb ist Profilbildung eine sehr sinnvolle Übung, auch wenn sie manchmal Gefahr läuft, in starre planwirtschaftliche Vorgaben zu münden und die EZ-typischen langjährigen und langwierigen Diskussionsprozesse Innovation und Flexibilität in einer sich rasch ändernden Welt nicht immer zu befördern.

Eine Profilbildung des BMZ im Bereich Agrarwirtschaftsförderung macht aus mehreren Gründen Sinn. In der Tat konzentriert sich Armut in ländlichen Räumen, und die Förderung der Produktivität kleinbäuerlicher Produktion ist eine der Kernfragen von Armutsbekämpfung. Es kommt hinzu, daß das BMZ auf der Makroebene sowohl im Bereich der Handelsförderung (Baumwolle, Reform EU-Zuckermarktordnung), aber auch bei der Schaffung von sozialen und ökologischen Mindeststandards (z.B. für Kaffee, Baumwolle, Gemüse etc.) eine international anerkannte Vorreiterrolle und Kernkompetenzen aufgebaut hat. Im Bereich Agrarwirtschaftsförderung besteht also die große Chance, unterschiedliche politische Interventionsebenen produktiv miteinander zu verknüpfen.

* Die Produktivität afrikanischer Kleinbauern fördern

Wie kann nun die Produktivität des afrikanischen Kleinbauern gefördert werden? Dazu bedarf es zunächst einer zutreffenden Analyse der Ist-Situation. Die folgenden Feststellungen basieren auf Erfahrungen, dürften aber empirisch zu belegen sein.

Es ist einfach nicht richtig, daß die ganz große Mehrheit der afrikanischen Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft verharren würde. In vielen schwarzafrikanischen Ländern dürfte ein hoher Prozentsatz der Kleinbauern (30-60%) regelmäßig für den nationalen Markt oder für den Export arbeiten. Das gilt z.B. für die Produkte Erdnüsse, Palmöl, Kautschuk, Kaffee, Kakao, Tee, Reis, Obst, Gemüse, regional unterschiedlich, aber auch für viele andere Grundnahrungsmittel.

Die jahrzehntelang mit Milliarden von EZ geförderten staatlichen Agrarberatungsstrukturen haben sich in vielen Fällen als ausgesprochen ineffizient erwiesen. Die Gründe sind vielfältig: Mißwirtschaft, nicht an den Bedürfnissen der Bauern orientierte Beratungskonzepte, keine Schaffung von adäquaten Vermarktungsmöglichkeiten für die Bauern etc.. Die Tatsache, daß die EZ sich aus der Förderung dieser Strukturen zurückgezogen hat, hat nichts mit neoliberalem Zeitgeist zu tun. Es macht einfach keinen Sinn (zugespitzt formuliert), Geld zu versenken, nur weil behauptet wird, dies diene der Bekämpfung von Armut.

* Hausse für Agrarprodukte

Nachdem auch die afrikanischen Bauern jahrelang unter im Schnitt zurückgehenden Preisen für Agrarprodukte gelitten haben, zeichnet sich auf den internationalen und nationalen Agrarmärkten eine deutliche Trendwende ab. Die Preise vieler Agrargüter ziehen deutlich an, und haben teilweise (z.B. Zucker oder Kautschuk, aber auch Orangensaft, Reis oder Sisal) ein hohes Niveau erreicht. Es spricht einiges dafür, daß die Agrarpreise vorerst im längerfristigen Schnitt relativ hoch bleiben werden: die gestiegene Nachfrage und knapper werdende landwirtschaftliche Flächen in Schwellenländern wie China, Indien oder auch Malaysia; die durch steigende Ölpreise ausgelösten Substitutions- und Nachfrageeffekte in Richtung Biotreibstoff bzw. Naturfasern.

Hinzu kommen der Abbau von subventionierten Dumpingexporten der EU (Zucker, Rindfleisch) sowie die steigende Nachfrage nach zertifizierten Produkten, die entsprechend ökologischer und sozialer Mindestkriterien angebaut und verarbeitet wurden. In diesem Bereich deutet sich teilweise sogar eine Abkoppelung von stark schwankenden Weltmarktpreisen an. So zahlt Starbucks (andere Premiummarken ziehen nach) für zertifizierten Kleinbauernkaffee deutliche Aufpreise und ist bereit, längere Preisbindungen einzugehen. Nicht zuletzt steigt aufgrund positiver Wachstumsraten in vielen Teilen Afrikas die Binnennachfrage nach Lebensmitteln. Fazit: Einige Rahmenbedingungen haben sich für die afrikanische Landwirtschaft deutlich verbessert.

Von diesen positiveren Rahmenbedingungen werden die afrikanischen Kleinbauern in dem Maße profitieren können, wie ihnen systematisch leistungsfähiges Saatgut, Know-how, Dünge- und Pflanzenschutzmittel zugängig gemacht werden. Dazu gibt es – das zeigt im übrigen auch das Beispiel erfolgreicher landwirtschaftlicher Regionen in Europa – im Kern zwei effiziente Methoden: Die Anbindung der Kleinbauern über Verträge an agroindustrielle Kernunternehmen (Vertragsbauern) oder die Bildung leistungsfähiger Kooperativverbände mit eigenen Weiterverarbeitungsunternehmen. So können Betriebsmittel zugängig und die Vermarktung, in Zukunft insbesondere auch zertifizierter Ware mit Rückverfolgbarkeit, zu attraktiven Preisen möglich gemacht werden. Wer genau hinsieht, wird quer durch Afrika schon eine ganze Reihe von Beispielen entdecken, wo das gut und so funktioniert, daß die Bauern höhere Einkommen erzielen und signifikante Entwicklungsimpulse für ganze ländliche Regionen generieren. Das gilt für Gemüsebauern in Kenia ebenso, wie für Anbauer von Zuckerrohr in Tansania oder Palmöl- und Kautschukbauern in Ghana und der Elefenbeinküste. Viele Ansätze für die Bildung leistungsfähiger Kooperativen sind allerdings gescheitert (von vorhandenen positiven Ausnahmen abgesehen). Die Governance-Defizite auf zentralstaatlicher Ebene haben halt oft ihre Entsprechung im Mikro- und Mesobereich.

* Aufgaben für das BMZ

Eine Schwerpunktsetzung des BMZ auf den agrarwirtschaftlichen Bereich ist gut beraten, sich diesen Entwicklungstendenzen zu stellen und diese exemplarisch zu verstärken. Dazu bieten sich verschiedene Interventionsmöglichkeiten an: Zentral ist sicher die Verstärkung aller Ansätze im Bereich „Zertifizierung“. Sinn machen auch Anschubfinanzierungen für Vertragsbauernstrukturen oder Genossenschaften, oder die Bereitstellung von Zinssubventionen für den Anbau von Dauerkulturen durch Kleinbauern. Wichtig ist die Stärkung der Selbstorganisation der Vertragsbauern, um eine ausgewogene „balance of power“ gegenüber den privaten Agroindustrieunternehmen sicherzustellen. Wichtig ist auch die Förderung der Agrarforschung sowie gezielt der Infrastruktur in ländlichen Räumen.

Dabei sollte das BMZ möglichst wenig „Top Down“ planen (da hat Jörg Goldberg Recht), sondern sich im Rahmen von definierten Leitlinien flexibel auf die Akteursstrukturen einlassen, die vorhanden sind, und diese ggf. miteinander vernetzen (so z.B. mit den quer durch Afrika stärker werdenden Mikrofinanzierungsbanken). Nur so können nachhaltig funktionierende Strukturen gestärkt und ausgebaut werden.

Unter dem Strich sollte das BMZ so in der Lage sein, bilateral deutlich Akzente zu setzen und (natürlich in engen Grenzen: deutsche EZ kann und wird Afrika nicht retten!) dazu beizutragen, daß Schwarzafrika mittel- und langfristig durch die Stärkung produktiver Strukturen in die Lage versetzt wird, von externer Hilfe im sozialen Bereich unabhängig zu werden.

Roger Peltzer ist seit über 20 Jahren u.a. in der Förderung und Finanzierung von Unternehmen in Afrika tätig.

(Veröffentlicht: 17.4.2006; dieser Beitrag als PDF-Download hier [110 KB])


EZ-Reform wohin? Einführung in die Diskussion

Von Rainer Falk

Die kürzlich im Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 04/2006) und auf dieser Internetseite veröffentlichte Kritik Jörg Goldbergs am Afrika- Profilbildungsprozeß des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (>>> BMZ und Afrika: Profilbildung als Rolle rückwärts. Abschied von der Armutsbekämpfung?) ist auf lebhaftes Interesse und auch auf Widerspruch gestoßen. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, daß der Beitrag thematische Felder der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) berührt, auf denen derzeit Kontroversen geführt werden und Veränderungen entweder anstehen oder bereits begonnen haben.

Für diese Entwicklung, die seit der Veröffentlichung des Peer-Review-Berichts des Entwicklungshilfeausschusses (DAC) der OECD zur deutschen Entwicklungshilfe (>>> W&E 02-03/2006) noch an Dynamik gewonnen hat, ist der Umstand, daß die EZ kürzlich im Rahmen der Großen Koalition (>>> Die alten Zielkonflikte werden die neuen sein) eine breitere Basis gefunden hat, zwar nicht völlig bedeutungslos. Entscheidend sind jedoch eine Reihe allgemeinerer Faktoren, die die Entwicklungspolitik auch unabhängig von Regierungsbildungen unter Handlungsdruck setzen.

Die Debatte kreist u.a. um folgende Fragenkomplexe:

* Von der Quantitäts- zur Qualitätsdebatte?

Nachdem im entwicklungspolitischen „Entscheidungsjahr 2005“ einige Weichen für eine quantative Aufstockung der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) gestellt wurden, wendet sich die Diskussion nunmehr verstärkt der Frage nach der Qualität der Hilfe zu. Dabei geht es nicht nur um die Feinabstimmung von Zielen und Kriterien im Rahmen des Follow-Up der Paris Declaration on Aid Effectiveness. NGOs bestreiten ganz grundsätzlich, ob es legitim ist, was sich die Regierungen heute so alles als entwicklungspolitische Leistungen gutschreiben lassen. So hat ActionAid International schon im letzten Jahr in einer Studie (>>> Real Aid. An Agenda for Making Aid Work) die These vertreten, daß nur ein Drittel der von den G7-Ländern geltend gemachten Entwicklungshilfe dem damit verbundenen Anspruch gerecht wird – der Rest sei „Phantom-Hilfe“ und komme durch die Überbezahlung internationaler Experten in der Technischen Hilfe, durch Lieferbindung, durch Planungs- und Koordinierungsfehler, exzessive Verwaltungskosten, übertriebene Berichtspflichten, verspätete Auszahlungen oder durch die Anrechnung von Schuldenerlassen zustande.

Was die Anrechnung von Schuldenerlassen betrifft, so haben die europäischen Netzwerke Concord und Eurodad kürzlich nachgewiesen, daß allein durch die Einbeziehung der Erlasse für Nigeria und den Irak die EZ-Leistungen der Mitgliedsländer der EU im Jahre 2005 bis zu 41%, im EU-Durchschnitt um 25% zu hoch ausgewiesen wurden (>>> EU Aid: Genuine Leadership or Misleading Figures). Das Bild verschlechtert sich weiter, wenn man berücksichtigt, daß einige Länder, darunter Deutschland, sogar kalkulatorische Studienplatzkosten für ausländische Studierende oder Unterbringungs- und Abschiebungskosten für Asylbewerber als Entwicklungshilfe verbuchen. Daß es sich hier keinesfalls um bösartige Behauptungen von notorischen Entwicklungshilfe-Kritikern handelt, wird daran deutlich, daß die OECD in ihrem DAC-Bericht für 2005 (>>> Aid flows top USD 100 billion in 2005) zu noch höheren Prozentsätzen kommt.

* Von der Projekt- zur Budgethilfe?

Ein weiteres Feld der Diskussion wird durch die Pole „Projekt- versus Budgethilfe“ bezeichnet. Dies ist zwar nicht gerade neu. Aber wenn es in den nächsten Jahren wirklich zu einer substantiellen Anhebung der ODA (und nicht nur zu mehr „Phantom-Hilfe“) kommen soll, kann dies nicht auf dem Weg von immer mehr Projekten erreicht werden. Zugleich ist offensichtlich, daß die Ausrichtung der ODA auf die Verwirklichung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) eine Erhöhung der Finanzmittel für soziale Grunddienste zwingend erforderlich macht. Dies muß nicht über die Ausweitung der Projekthilfe erfolgen. Die Schwerpunktsetzung der deutschen Entwicklungshilfe ist allerdings faktisch durch ein erhebliches Spannungsverhältnis in der Mittelverwendung gekennzeichnet:

Auf der einen Seite ist der Gesamtanteil der Verpflichtungsermächtigungen für die Bereiche Bildung, Gesundheit und Wasserversorgung, denen bei der Verwirklichung der MDGs eine besondere Bedeutung zukommt, 2005 auf 21,5% weiter gesunken – der niedrigste Stand seit 1999. Auf der anderen Seite entfiel 2005 der größte Einzelposten unter den 12 Schwerpunktbereichen deutscher EZ auf den Bereich „Wirtschaftsreform und Aufbau der Marktwirtschaft“. Dies läßt zumindest Zweifel daran aufkommen, ob die Armutsbekämpfung wirklich die höchste Priorität genießt, wie in den offiziellen Verlautbarungen bekundet wird.

* Von der Strukturanpassung zur Armutsbekämpfung?

In engem Zusammenhang damit steht die Frage, ob die konzeptionelle Entwicklung der internationalen EZ in den letzten Jahren mit der oft verwendeten Formel „Vom Washington Consensus zum Post-Washington Consensus“ treffend beschrieben ist oder ob dies nicht vielmehr bestenfalls das Wunschdenken aufgeklärter Zeitgenossen zum Ausdruck bringt, während in den Kernsektoren der nationalen und internationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik nach wie vor neoliberale Leitlinien den Ton angeben.

Aus dem BMZ selbst kam vor einiger Zeit ein bemerkenswerter Beitrag zu dieser Debatte (>>> Post-Washington-Consensus – Einige Überlegungen). Die Analyse des Profilbildungsprozesses für Afrika durch Jörg Goldberg verweist jedoch darauf, daß die Überwindung des an neoliberalen Prinzipien orientierten Washington Consensus‘ auch innerhalb des Ministeriums an Grenzen stößt. Roger Peltzer bestreitet dies in einer ersten Erwiderung auf Goldberg, die dieser Einführung folgt. Peltzer sieht in der besseren Ausrichtung der deutschen EZ auf die Ausschöpfung von Marktpotentialen, vor allem im Agrarsektor, sowie im „Agenda-Setting“ zur Verbesserung der Rahmenbedingungen von Entwicklung einen sinnvollen Weg für die bilaterale Entwicklungspolitik, deren Spielräume durch den Trend zur Budgethilfe und multilaterale Aufgaben zusehends enger werden.

* Welche Rolle für die EZ?

Beide Positionen, so unterschiedlich sie sind, berühren schließlich auch die Frage, welche Rolle die EZ im Kontext der ökonomischen Globalisierung und der sie dominierenden Akteure in Zukunft überhaupt (noch) spielen kann und soll. Auch dies wird unter dem Stichwort von der notwendigen Kohärenz zwischen Politikbereichen schon länger diskutiert. Nur allzu oft wird das damit angesprochene Spannungsverhältnis jedoch zugunsten der Dominanz der (harten) Wirtschafts- und Finanzpolitik gelöst, während der (weichen) Entwicklungspolitik bestenfalls kompensatorische, abfedernde oder nachsorgende Rollen zugebilligt werden.

* Einladung zur Diskussion

Die hier nur skizzenhaft angeschnittenen Fragen sind es wert, näher, auch und gerade auch kontrovers bearbeitet zu werden. Der Beitrag von Jörg Goldberg und die Erwiderung von Roger Peltzer stecken erste Positionen ab, die weitere Antworten und Fragen provozieren können und sollen. Wir haben eine Reihe ausgewiesener EZ-Experten gebeten, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Darüber hinaus sind alle Leserinnen und Leser herzlich eingeladen, sich in die Debatte einzuschalten. Ich freue mich darauf, die hoffentlich zahlreichen Beiträge zu moderieren.

Rainer Falk ist Herausgeber und Redakteur des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung.

(Veröffentlicht: 17.4.2006; dieser Beitrag als PDF-Download hier [115 KB])


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