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Der Zombie-Gipfel in Oberbayern

Artikel-Nr.: DE20150610-Art.15-2015

Der Zombie-Gipfel in Oberbayern

G7 auf Schloss Elmau

Vorab im Web - Der G7-Gipfel, der am 7./8. Juni 2015 auf Schloss Elmau stattfand, hatte im Wesentlichen drei Ergebnisse: Gegenüber Russland drohte er mit der Verschärfung der Sanktionen, er erhöhte den Druck auf Griechenland, und erstmals verkündete er ein Bekenntnis zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Der Rest war Showbizz, Ritual und Wiedergängertum. Den Zombie-Gipfel am Fuß der Zugspitze analysiert Rainer Falk*).

Die drei genannten Gipfelresultate sind von durchaus unterschiedlicher Qualität. Die explizite, auch in der Abschlusserklärung verankerte Drohung mit der Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gehörte auch bislang schon zur Sprachregelung; sie verweist auf den wesentlichen Grund zur Wiederaufrichtung der G7: Aus einem Instrument der Einbeziehung Moskaus (G8) wurde ein Bündnis gegen Russland gemacht. Als Legitimationsformel für die Daseinsberechtigung der G7 dient die Rede von der „Wertegemeinschaft“ (wobei niemandem auffällt, dass diese Formel auch schon wohlfeile Verwendung fand, als Russland noch einen Platz im Kreis der „großen Acht“ hatte).

● Sanktionen, Griechenland, Klima

Nicht erwähnt wird im Kommuniqué die Griechenland- bzw. Eurokrise, obschon diese einen Teil des Gipfels dominierte: Schloss Elmau wurde zur Plattform, von der aus Athen abgekanzelt wurde (so durch EU-Kommissionspräsident Juncker) und auf der US-Präsident Obama den Schulterschluss mit den europäischen Gläubigern demonstrierte. Vertrat die US-Regierung bislang noch die Position, beide Seiten müssten sich bewegen, richtete Obama jetzt einseitig die Forderung nur noch an Griechenland; es sei höchste Zeit für die Regierung Tsipras, „harte Entscheidungen“ zu fällen und die geforderten „Reformen“ durchzuführen.

Die größte Aufmerksamkeit fanden am Ende aber doch die klimapolitischen Einlassungen in der G7-Erklärung – von einigen sogar als „überraschend starkes Ergebnis“ (Germanwatch) freudig begrüßt. In der Tat enthält die Abschlusserklärung nicht nur die erneute Bekräftigung des Ziels, den globalen Temperaturanstieg unter 2° C (gegenüber dem vorindustriellen Niveau) zu halten, und das Versprechen, bis 2020 jährlich 100 Mrd. Dollar für Klimaschutzmaßnahmen im Süden zur Verfügung zu stellen („aus einer Vielzahl sowohl öffentlicher als auch privater Quellen“). Ein konkreter Zeitplan fehlt jedoch erneut. Die Erklärung „betont, dass tiefe Einschnitte bei den weltweiten Treibhausgasemissionen erforderlich sind, einhergehend mit einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“. Verbunden wird dies mit der Unterstützung des Ziels, den CO2-Ausstoß bis 2050 um 40-70% (gegenüber 2010) zu reduzieren.

Die Vision einer globalen Energiewende also, mitgetragen von den – historisch gesehen – größten Verursachern des Treibhauseffekts, allerdings bis zum Ende des laufenden Jahrhundert, was realistische Beobachter schnell von einem „unverbindlichen Jahrhundertversprechen“ (Handelsblatt) schreiben ließ. In der Tat können die „Klimakanzlerin“ und ihre heroischen Mitstreiter ruhig schlafen angesichts eines Ziels, das erst in 85 Jahren erreicht werden soll, posthum also, wenn keiner der heutigen G7-Führer mehr auf dem Planeten sein wird. Begibt man sich von den lichten Höhen des G7-Gipfels in die Tiefen der real existierenden Klimaverhandlungen, die derzeit in Bonn stattfinden, dann wird schnell deutlich, dass mit der Vision von Elmau für ein neues Klimaabkommen noch gar nichts erreicht ist. Mit oder ohne Elmau – der Weg nach Paris ist hart und steinig. Man kann eben keine Klimapolitik machen, wenn die Mehrheit der Länder, vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer, nicht mit am Tisch sitzt (???042ae6a4b409f0e0e???).

● Ankündigungsgipfel mit Déja-vue-Effekt

Das Dekarbonisierungsversprechen ruft selbst noch jenen Déja-vue-Effekt hervor, der die G7-Gipfel seit jeher kennzeichnete. Schon öfter gab es diese Umwelt- und Klimaeuphorie: Bereits auf dem G7-Gipfel in Houston 1990 etwa las man seitenweise Umweltlyrik im Kommuniqué; in L’Aquila 2009 wurde laut das 2°-Ziel proklamiert; der Klimagipfel wenig später in Kopenhagen scheiterte bekanntlich grandios.

Der Zombie-Gipfel von Elmau erweist sich erst Recht bei den anderen Themen der Agenda als veritabler Wiedergänger – als Ankündigungsgipfel wie eh und je. Die meisten Absätze der 21-seitigen ???042ae6a4b0082bc01??? mit ihrem 16-seitigen Annex beginnen mit Floskeln wie: Wir bekennen uns…, wir sind entschlossen…, wir werden uns bemühen…, wir begrüßen…, wir unterstützen…, wir betonen…, wir bleiben verpflichtet… In vielerlei Hinsicht verweist dies darauf, dass die Musik inzwischen andernorts spielt, z.B. in der G20 oder in der UNO. So verweisen die G7 beim Thema Finanzmarktregulierung vor allem auf die G20, beim Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung auf die OECD, bei der Post-2015-Entwicklungsagenda auf die UN-Vollversammlung, beim Welthunger auf die FAO und beim Kampf gegen Ebola und Antibiotikaresistenzen auf die WHO.

Gegen Ankündigungen und Versprechen wäre nichts einzuwenden, würden diese nur eingehalten. Doch zu dieser Schlussfolgerung gelangt wohl nur die G7 Research Group von der Universität Toronto, die in ihrem diesjährigen „Compliance Report“ verkündete, 80% der auf dem Brüsseler G7-Gipfel im Vorjahr gemachten Ankündigungen seien eingehalten worden, im Vergleich zu 76% der Selbstverpflichtungen von Lough Erne 2013. So erreichen beim Thema „Finanzmarktregulierung“ die G7-Mitglieder durchgängig die Höchstnote, wo doch selbst die offizielle Abschlusserklärung in diesem Jahr einräumt, dass diese Aufgabe „noch nicht abgeschlossen“ ist. Verwiesen wird dabei vor allem auf das „Too-big-to-fail“-Problem, das weiterhin angegangen werden soll, und die Regulierung des Schattenbankensystems, die von der G20 erwartet wird.

● Softthemen Entwicklungspolitik, Frauen und Lieferketten unter ferner liefen

Zum Paradebeispiel folgenloser Ankündigungen ist inzwischen wohl das Versprechen geworden, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungsleistungen zur Verfügung zu stellen. Dieses Versprechen, das auch in Elmau wieder bekräftigt wurde, ist im Laufe der Jahrzehnte so oft gebrochen worden, dass manche inzwischen meinen, man sollte es gleich ganz fallen lassen. Mit Blick auf die Post-2015-Agenda dominiert inzwischen die auch in das G7-Kommuniqué von Elmau eingegangene Formel vom „Aufbau einer neuen globalen Partnerschaft auf der Grundlage universeller Gültigkeit, gemeinsamer Verantwortung, gegenseitiger Rechenschaftspflicht, effizienter und effektiver Überwachung und Überprüfung sowie eines von vielen Akteuren getragenen Ansatzes“.

Welcher Part im Rahmen dieses Ansatzes von den G7-Ländern gespielt werden soll, die Antwort auf diese Frage blieben die G7 in Elmau vor allem in finanzieller Hinsicht erneut schuldig. Allgemein ist nur von finanzieller und nichtfinanzieller Unterstützung die Rede, und zwar in einer Konstellation, die das Gewicht weiter von der öffentlichen Verantwortung auf den privatwirtschaftlichen Sektor verschiebt.

Einige Themen der diesjährigen G7-Agenda, so war zu hören, hätten der Bundesregierung bzw. Bundeskanzlerin Merkel besonders am Herzen gelegen, so Förderung der Frauen, die Verantwortung in den Lieferketten der Transnationalen Konzerne und der Punkt Ernährungssicherheit. Hier gibt es in der Tat spärliche Neuigkeiten zu vermelden, die jedoch allenfalls als erste Schritte auf einem langen Weg gewertet werden können:

* So taucht das Thema Frauen gleich im ersten Teil der Abschlusserklärung auf, allerdings in Engführung als Förderung der unternehmerischen Selbständigkeit von Frauen, deren „Zugang zu Finanzierung, Märkten, Fertigkeiten, Führungsverantwortung und Netzwerken“ gestärkt werden soll.

* Dass das Thema Lieferketten als Novum auf G7-Ebene behandelt wurde, ist von den internationalen Gewerkschaften durchaus begrüßt worden, zumal diese Ketten „heute eine Quelle der Ausbeutung und Verarmung darstellen und kein Mittel zur Schaffung guter und sicherer Arbeitsplätze“. Um Vorschläge wie die Schaffung eines „Vision Zero Fonds“, der bei der ILO angesiedelt werden soll, oder die Stärkung der OECD-Leitlinien zu Multinationalen Konzernen mit Leben zu füllen, müssten diese Versprechen jedoch erst noch in Handeln umgesetzt werden, wie der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) anmahnt.

* Beim Thema Ernährungssicherheit hat der Dachverband entwicklungspoltischer NGOs VENRO im Kommuniqué einen „guten Ansatz“ entdeckt, der darin bestehe, dass sich die Hungerbekämpfung nicht mehr nur auf fragwürdige industrielle Landwirtschaftsmodelle konzentrieren soll, sondern auch auf die Kleinbauernförderung. Neben der auch hier wieder fehlenden Finanzierungszusage bleibt allerdings anzumerken, dass die G7 mit ihrem großspurig angekündigten Ziel, bis 2030 500 Millionen Menschen von Hunger und Mangelernährung zu befreien, selbst hinter die Weltbank und den neuen Post-2015-Konsens zurückfallen, wonach bis 2030 die extreme Armut auf dem Globus komplett ausgerottet werden soll.

● Zuguterletzt: Proteste und NGOs

Die Übersicht macht deutlich, dass auch bei den „neuen Themen“ vieles im Bereich der Ankündigung verbleibt. Die Schlagzeilen der NGO-Pressemitteilungen lauten deshalb wie immer: „G7 müssen ihren Worten jetzt Taten folgen lassen“ (Welthungerhilfe). „Sie bemühten sich redlich, behandelten aber nur Symptome“ (WorldVision). „Es fehlt an Konkretisierung und Verbindlichkeit“ (VENRO).

So agierten auch die Kritiker der G7 weitestgehend wie immer: Der Suche nach positiven Sandkörnern in den offiziellen Kommuniqués folgt die Ermahnung zur Einlösung der gemachten Versprechen und zu entschlossenerer Umsetzung. Dass die G7 in Wirklichkeit inzwischen nur noch ein Schatten ihrer selbst ist und sich die Gewichte weltweit zu ihren Ungunsten verschoben haben, gerät dabei leicht aus dem Blick. Wie die G7 selbst folgten auch die Proteste in Elmau weitgehend dem immer gleichen Ritual, auch wenn die Teilnahmezahlen gesunken und die Botschaften verblasst sind.

Posted: 10.6.2015

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Falk, Der Zombie-Gipfel in Oberbayern. G7 auf Schloss Elmau, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 10. Juni 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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