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Neue Schuldenkrisen bedrohen 2030-Agenda

Artikel-Nr.: DE20151201-Art.33-2015

Neue Schuldenkrisen bedrohen 2030-Agenda

UNCTAD-Konferenz zum Schuldenmanagement

Die 2030-Entwicklungsagenda ist kaum beschlossen, und schon gefährden neue Schuldenkrisen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ihre Verwirklichung. Die Wahrscheinlichkeit solcher Krisen stand im Mittelpunkt der 10. Schuldenmanagement-Konferenz der Konferenz für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD), die vom 23.-25. November 201% in Genf stattfand. Ein Bericht von Kristina Rehbein.

In seiner Eröffnungsrede benannte UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi die Faktoren, die neue Schuldenkrisen aus heutiger Sicht wahrscheinlich machen: fallende Rohstoffpreise und gleichzeitig steigende Zinssätze, Währungsabwertungen und eine Verlangsamung des globalen Wachstums. Inzwischen liegt der globale Schuldenberg bei 199 Billionen US-Dollar – für den UNCTAD-Generalsekretär eine Bedrohung der weltwirtschaftlichen Stabilität.

● Neues fragiles Umfeld

Die neue Fragilität folgt auf eine Phase niedriger Zinsraten und hoher Liquidität auf den internationalen Kapitalmärkten, verbunden mit einem hohen Finanzierungsbedarf in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die daraus resultierende starke Neukreditvergabe an eben diese Länder wurde auch durch den Rohstoffboom und das hohe Wachstumspotential begünstigt, das für Anleger und Investoren besonders attraktiv war, während Wachstums- und Gewinnaussichten in den reichen Ländern eher bescheiden waren. Doch dieses Umfeld gehört inzwischen der Vergangenheit an, und „untragbare Schulden werden abermals eine Bedrohung für erreichte Entwicklungserfolge“, so Kituyi.

Mehr als 350 Expertinnen und Experten aus Finanzministerien, Zentralbanken, der Zivilgesellschaft, dem akademischen Bereich und von internationalen Organisationen waren in Genf zusammen gekommen, um über die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, die sich durch die kommende Krise für die Finanzierung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) ergeben, zu diskutieren. Dass die nächste Krise sicher kommt, stand nicht in Frage. Daher wurden unterschiedliche Aspekte der kommenden Schuldenkrisen diskutiert – so etwa die versteckten Risiken, die beispielsweise in öffentlich-privaten Partnerschaften (PPPs) stecken, ein Instrument, das vom internationalen Mainstream als zentrales Instrument zur Finanzierung der neuen Entwicklungsagenda empfohlen wird.

Auch die zunehmende Verschuldung des Privatsektors wurde als ein großes Problem identifiziert, vor allem in Schwellenländern, aber zunehmend auch in ärmeren Entwicklungsländern. Wie u.a. Gary Dymski von der Universität in Leeds darlegte, mündet die Verschuldung von Unternehmen und Banken in Krisenzeiten oft in öffentliche Schuldenkrisen – und in eine Verringerung des Handlungsspielraums von Regierungen, um auf Krisen zu reagieren.

● Öffentliche vs. private Finanzierungsoptionen

Zur Debatte standen in Genf auch die teilweise einander entgegen laufenden Trends in der Entwicklungsfinanzierung, wie die abnehmenden Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln zur Finanzierung der SDG-Agenda einerseits und die zunehmende Süd-Süd-Kooperation andererseits (Vitaminspritzen für die Süd-Süd-Kooperation). Heftig kritisiert wurde die übertriebene Fokussierung auf Privatinvestitionen im Rahmen der Agenda 2030. Wie Yuefen Li, Beraterin des Genfer South Centres forderte, müsse die öffentliche Entwicklungshilfe ein wesentlicher Bestandteil der SDG-Finanzierung bleiben, wobei die reichen Länder einen angemessenen Anteil zu tragen hätten. Auch andere Referentinnen und Referenten kritisierten, dass der Mangel an günstigen Finanzmitteln für ärmere Länder das Risiko neuer Schuldenkrisen erhöhe, da diese dann zu teureren Finanzierungsoptionen gedrängt werden.

Die anwesenden Expertinnen und Experten diskutierten auch über Wege, wie Krisen zukünftig verhindert oder ihre Folgen für eine Volkswirtschaft abgeschwächt werden können. So stellte Stephanie Blankenburg, Leiterin der Abteilung Schulden und Entwicklungsfinanzierung bei UNCTAD, BIP-indizierte Staatsanleihen (GIBs) als Mittel zur Verhinderung von Schuldenkrisen vor. GIBs sehen vor, dass ein Staat automatisch weniger Zinsen an die Anlegerinnen und Anleger zahlen muss, wenn das Wirtschaftswachstum sinkt. Auch wenn innovative Ideen dazu, wie Schuldentragfähigkeit und Entwicklungsfinanzierung in Einklang gebracht werden können, wünschenswert sind, so machte Blankenburg auch deutlich, dass einzelne Maßnahmen wie GIBs keine Alternative zu der Diskussion um einen umfassenden Mechanismus zur Lösung von Staatsschuldenkrisen sind.

● Systemische Lösung unumgänglich…

Die Frage nach einem solchen Mechanismus bzw. nach einem systemischen Neuansatz zur Lösung künftiger Schuldenkrisen bestimmte denn auch wesentlich den Konferenzverlauf – denn die Redner waren sich einig, dass Staatsschuldenkrisen nicht nur für die einzelnen Schuldnerländer, sondern für die gesamte Weltwirtschaft hohe Kosten verursachen. Hauptredner Michael Higgins, Präsident von Irland, sagte zu Beginn der Konferenz, „es ist nicht möglich, irgendeines unserer globalen Ziele zu erreichen ohne einen fundamentalen, systemischen Wandel in unserer globalen institutionellen Architektur“.

Andere Redner, etwa Alfredo Calcagno, Leiter der Abteilung Makroökonomie und Entwicklungspolitik bei UNCTAD, machten deutlich, dass angemessene Verfahren zur nachhaltigen Lösung von Schuldenkrisen fehlen und die Schaffung eines umfassenden Verfahrens für Staateninsolvenzen dringend notwendig ist. Das vorhandene Regime zur Lösung von Schuldenkrisen sei ineffizient und unfair und führe dazu, dass Schuldenkrisen am Ende teurer werden.

Auch Thordur Jonasson von Abteilung Geld- und Kapitalmarkt beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gab zu, dass das aktuelle Schuldenmanagement ineffizient ist: Die Erfahrung zeige, dass Schuldenerlasse oft zu gering ausfallen, um eine Schuldenkrise nachhaltig zu lösen und überdies zu spät kommen, so dass Schuldner und Gläubiger in einem Teufelskreis von Umschuldungen und Teilerlassen gefangen bleiben. Insgesamt ist aber die Schuldenfrage, wie Higgins in seiner Eröffnungsrede betonte, „viel zu wichtig, als dass man sie der Weltbank oder dem IWF überlassen könnte“, denn die Schuldenfrage geht uns alle an. Damit sind die Vereinten Nationen der rechtmäßige Ort für die Diskussion um die Schaffung fairer Entschuldungsverfahren.

● … aber in der Schwebe

Im letzten Jahr haben die Entwicklungs- und Schwellenländer in den Vereinten Nationen mit der Verabschiedung einer Resolution zur Erarbeitung eines umfassenden rechtlichen Rahmenwerks in der 69. Generalversammlung einen konkreten Vorstoß dazu gemacht. UNCTAD hat hierzu wichtige Zuarbeit geleistet. Aufgrund des Boykotts der Industrieländer führte dieser Prozess allerdings nur zu allgemeinen Prinzipien, jedoch zu keinem rechtlichen Rahmenwerk. Auch wenn die Prinzipien nützlich sind, sieht der Direktor der UNCTAD-Abteilung für Globalisierung und Entwicklung, Richard Kozul-Wright, die Gefahr, dass sie wirkungslos bleiben könnten. Dass auch bei anderen Gelegenheiten, etwa auf der 3. UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in diesem Sommer in Addis Abeba, keine angemessenen Vereinbarungen hierzu getroffen werden konnten, macht die Sache nicht besser.

Übrigens hatte das deutsche Entschuldungsbündnis erlassjahr.de schon anlässlich des G7-Finanzministertreffens im Mai in Dresden auf die heraufziehende neue Schuldenkrise im Süden aufmerksam gemacht und die Finanzminister aufgefordert, nicht wieder die Augen vor der Realität zu verschließen. Eine Teilnahme in Genf hätte ihnen dafür sehr genutzt.

Kristina Rehbein ist Politische Referentin bei erlassjahr.de.

Posted: 1.12.2015

Empfohlene Zitierweise:
Kristina Rehbein, Neue Schuldenkrisen bedrohen 2030-Agenda, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 1. Dezember 2015 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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